Am 26. Juni 2025 war der Kulturrat NRW in gleich zwei Anhörungen des nordrhein-westfälischen Landtages geladen. Sowohl der Haushalts- und Finanzausschuss als auch der Ausschuss für Kultur und Medien waren an seiner Expertise interessiert. Beide Anhörungen erfolgten vor dem Hintergrund sich vergrößernder Belastungen des Landeshaushalts. Ein Antrag der FDP auf Entbürokratisierung bezieht sich auf alle Ressorts der Landesregierung, ein Antrag von FDP und CDU zur freien Theaterszene auf die fehlende Auskömmlichkeit der Kulturförderung.
Der Antrag der FDP-Fraktion vom 18. März 2025 fordert eine tiefgreifende Reform der Förderpolitik des Landes. Anlass ist die Kritik an einem intransparenten, bürokratischen und ineffizienten Fördersystem, das jährlich Milliarden an Steuergeldern verschlingt, jedoch ohne systematisches Monitoring oder Wirksamkeitskontrolle arbeitet. Im Jahr 2023 wurden 266 Förderprogramme umgesetzt, wovon 223 unter Landesverantwortung standen, weitere rund 400 Maßnahmen sind bislang nicht öffentlich erfasst. Die FDP bemängelt insbesondere die geringe Digitalisierung in der Antrags- und Bearbeitungspraxis und fordert deshalb eine umfassende Konsolidierung und Digitalisierung der Förderlandschaft.
Ziel sei es, die Zahl der landeseigenen Programme um 50 Prozent zu senken, die Verwaltungskosten zu verringern und freiwerdende Mittel zur steuerlichen Entlastung und für kommunale Finanzierung zu nutzen. Die bestehende Plattform foerderplan.web soll ausgebaut werden, sodass alle Anträge digital eingereicht, geprüft und abgerechnet werden können. Zudem soll bis Ende 2026 jedes Ressort an das System angeschlossen werden. Die Förderplattform soll offene Standards bieten, um künftig auch Bundes- und EU-Förderungen abwickeln zu können, und maschinenlesbare Daten für eine bessere Evaluation bereitstellen.
Der Kulturrat NRW nahm in einer schriftlichen Stellungnahme vom 2. Juni 2025 differenziert zu diesem Antrag Stellung und wiederholte seine Einschätzung am 26. Juni 2025 in einer Anhörung des Haushalts- und Finanzausschusses des Landtages NRW. Lorenz Deutsch, Vorsitzender des Kulturrats, bekannte grundsätzlich eine Unterstützung des Ziels einer Entbürokratisierung und erkannte darin auch eine inhaltliche Übereinstimmung mit dem Koalitionsvertrag. Besonders im Kulturbereich sei der Verwaltungsaufwand groß und stehe oft in einem ungünstigen Verhältnis zur eigentlichen künstlerischen Arbeit.
Zwei zentrale Forderungen der FDP lehnt der Kulturrat jedoch entschieden ab: die Reduzierung der landeseigenen Förderprogramme um 50 Prozent sowie die pauschale Konsolidierung der rund 700 Fördermaßnahmen, insbesondere der kleinen Programme. Diese Forderungen seien in erster Linie haushaltspolitisch motiviert und ignorierten die vielfältige und heterogene Struktur des nordrhein-westfälischen Kulturlebens, das gerade auf kleinteilige, passgenaue Förderungen angewiesen sei. Die Vielfalt an Programmen sei nicht Ausdruck von Ineffizienz, sondern von kultureller Notwendigkeit und gesellschaftlicher Relevanz.
Auf Nachfrage von Alexander Baer (MdL, SPD) zu den Auswirkungen im ländlichen Raum, verschärfte Deutsch seine Einschätzung noch. Gerade im ländlichen Raum würde ein Rückgang ausdifferenzierter Förderprogramme um 50 % die Struktur des Kulturlebens treffen und einen nicht zu reparierenden Schaden anrichten.
Stattdessen fordert der Kulturrat eine echte Entbürokratisierung durch praxisnahe Reformen im Zuwendungsrecht, wie die Ermöglichung von Mittelübertragungen über Haushaltsjahre hinweg, den Übergang von Projekt- zu institutioneller Förderung bei langfristigen Vorhaben, die Ausweitung von Mittelweiterleitungen zur Unterstützung kleiner Initiativen, die Einführung von Pauschalförderungen für Overhead- und Personalkosten, die Schaffung von Rücklagen und Rückstellungen für gemeinnützige Einrichtungen sowie die Anerkennung zweckgebundener Spenden als Eigenanteil bei Förderprojekten. Diese Maßnahmen würden nicht nur den Verwaltungsaufwand senken, sondern auch mehr Raum für kreative und gesellschaftlich wertvolle Arbeit schaffen. Deutsch warnte davor, das Ziel der Verwaltungsvereinfachung mit pauschalen Kürzungen zu verwechseln, und warb für Vertrauen gerade gegenüber den Empfängern von Kleinstförderungen.
Neben dem Kulturrat NRW hatten auch die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände (Benjamin Holler), die Industrie- und Handelskammer Köln (Frank Hemig) und der Bund der Steuerzahler NRW (Jens Ammann) Experten entsandt, von denen Jens Ammann eine eher entgegengesetzte Stellungnahme abgab, den Antrag der FDP grundsätzlich begrüßte, für eine Streichung von Förderprogrammen, für eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bzw. im Falle der Kommunen als Empfänger der Förderung für eine kompensatorische Aufstockung der Gelder über das Gemeindefinanzierungsgesetz an die Kommunen warb – eine Forderung, die der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände Benjamin Holler, als im Prinzip begrüßenswert, doch realitätsfremd bezeichnete.
Vor dem Landtag bauten Aktivisten der Theaterszene aus Münster eine „NRW Kulturpyramide“ aus leeren Ölfässern auf, die zum Mittelpunkt einer Demonstration gegen Kürzungen im Bereich der Spitzen- und Exzellenzförderung der Theater wurde. Zum Höhepunkt der Demonstration brauchten sie die Pyramide zum Einsturz als Metapher zu den Auswirkungen der Kürzungen in der Szene. Kulturministerin Ina Brandes stellte sich den Demonstranten zum Gespräch und erläuterte hernach im Ausschuss für Kultur und Medien eine Übergangsförderung, die bis zum Jahresende Auswirkungen verhindern soll.
Der Ausschuss befragte in einer weiteren Anhörung Vertreterinnen und Vertreter der Theaterszene nach der Situation und nach Lösungsansätzen. Der gemeinsame Antrag der Fraktionen von FDP und SPD vom 18. März 2025 hatte konkrete Maßnahmen zur Rettung der freien Theaterhäuser in Nordrhein-Westfalen gefordert. Immerhin würden freie Bühnen einem breiten Publikum Zugang zu Theaterformen wie Performances, Tanz, Figurentheater oder Neuem Zirkus bieten. Sie würden Erfahrungsräume eröffnen, gesellschaftlichen Dialog fördern und durch ihr niedrigschwelliges Angebot den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken – eine Wertschätzung, der sich in der Fragestunde auch die Kulturpolitische Sprecherin der Regierungsfraktion CDU Heike Wermer und der Kulturpolitische Sprecher der Regierungsfraktion Die Grünen Frank Jablonski ausdrücklich anschlossen.
Gleichzeitig stünden diese Theaterhäuser, so der Antrag von FDP und SPD, unter massivem wirtschaftlichem Druck. Neben steigenden Betriebskosten durch Inflation und Energiepreise kommt ab dem 1. Januar 2026 die verpflichtende Einführung von Mindesthonoraren für freiberufliche Künstlerinnen und Künstler hinzu. Eine Gegenfinanzierung dieser Vorgabe fehlt jedoch bislang. Zudem ist die Situation der festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den freien Häusern prekär, da sie weder durch Tarifverträge noch durch Honoraruntergrenzen abgesichert sind und oft nur den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Vor dem Hintergrund dieser Belastungen drohen viele Häuser ihr Angebot stark zu reduzieren oder ganz zu schließen. Das hätte nicht nur kulturelle, sondern auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenzen.
Als Vorsitzender des Kulturrats NRW forderte Lorenz Deutsch in der Anhörung eine finanzielle Hinterlegung der Honoraruntergrenzen, die ab 1.1.2026 in der Landesförderung gelten sollen, sowie eine Dynamisierung der Kulturförderung, um rasante Kostensteigerungen einigermaßen auszugleichen. Frank Jablonski, Kulturpolitischer Sprecher der Fraktion der Grünen, fragte nach, ob dann, wenn die erforderlichen Mittel einfach nicht zur Verfügung stünden, Deutsch für eine Verschiebung des Inkrafttretens der Förderrichtlinie zu den Honoraruntergrenzen plädieren würde. Doch Deutsch widersprach. Diese alte und grundlegende Forderung der Künstlerinnen und Künstler müssen jetzt umgesetzt werden, und das Kulturgesetzbuch NRW von 2021, das eine faire Bezahlung in der freien Szene gesetzlich verankert, verpflichtet die Politik zur Einführung von Honoraruntergrenzen.
Andreas Bialas, Kulturpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, und Yvonne Gebauer, Kulturpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, fragten nach dem Dialogverhältnis zwischen den Kulturverbänden und der Kulturministerin. Deutsch lobte gute Gespräche mit der Ministerin über Honoraruntergrenzen und über Förderstrukturen. Was ihm fehlt, sind grundlegende und öffentliche Gespräche darüber, wie sich Kulturförderung in Zukunft entwickeln soll.
Auch Ulrike Seybold, Sprecherin des Landesbüros Freie Darstellende Künste NRW, problematisierte die Honoraruntergrenzen. Auch wenn diese Maßnahme grundsätzlich begrüßenswert sei, dürfe sie nicht dazu führen, dass sich die kulturelle Vielfalt in NRW reduziere oder Akteurinnen und Akteure ihre Existenzgrundlage verlören. Die Landesregierung sei in der Verantwortung, die im Kulturgesetzbuch beschlossenen Ziele finanziell abzusichern.
Die Verzögerung der Ausschreibung der Spitzenförderung gefährde nicht nur Förderzusagen, sondern auch Kooperationen, Raumnutzungen und Personalbindung. Seybold erinnerte daran, dass genau diese mehrjährige Förderstruktur einst geschaffen wurde, um Planungssicherheit für die freie Szene zu schaffen. Trotz der schwierigen Situation lobte Seybold den im Antrag enthaltenen Impuls, neue Beteiligungsformate zu schaffen und gemeinsam nach tragfähigen Lösungen zu suchen.
Gerade die freie Szene verfüge über die nötige Resilienz und Kreativität, um in vernetzten Strukturen konstruktiv zu wirken. Auch Seybold forderte eine Dynamisierung der Förderung. Seit der letzten Anhebung der Förderung 2018/19 seien die Kosten so stark gestiegen, dass die Szene verstärkt in Selbstausbeutung zurückfalle. Vertreterinnen und Vertreter von Theatern gaben dafür drastische Beispiele. Mehrfach beklagten Leitende von Theatern, dass sie nur noch Akquisition betreiben würden und kaum noch Zeit für inhaltliche Arbeit hätten.
rvz