Am 11. Oktober 2025 fand in der Kirche St. Johannes der Täufer in Meckenheim ein Konzert des Landesjugendchors Nordrhein-Westfalen statt. Unter dem Titel „80 Jahre Kriegsende“ gestalteten die jungen Sängerinnen und Sänger ein anspruchsvolles und zugleich bewegendes Programm, das sich mit den Themen Krieg, Zerstörung, Verlust und Versöhnung auseinandersetzte. Der Abend stand im Zeichen der Erinnerung, aber auch der Hoffnung, und zeigte, wie Musik Brücken schlagen kann zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Leid und Zuversicht.
Das Konzert begann in ernster Stimmung. Rudolf Mauersbergers „Vater unser“ und seine Motette „Wie liegt die Stadt so wüst“, komponiert nach der Zerstörung Dresdens im Jahr 1945, machten den Auftakt. Die eindringliche Motette, die auf den Klageliedern des Propheten Jeremia basiert, ist ein musikalisches Denkmal für die Opfer des Krieges und zugleich ein persönlicher Ausdruck tiefster Trauer. Der Chor gestaltete die düstere Klangwelt mit Intensität, klarer Textverständlichkeit und emotionaler Präsenz. In Verbindung mit Johannes Brahms’ „Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen“ – ebenfalls aus den biblischen Klageliedern inspiriert – entstand ein eindrucksvolles Spannungsfeld von Verzweiflung und Trostsuche. Der Chor schuf durch feine Dynamik und sensible Phrasierung eine Atmosphäre, die die Zuhörerinnen und Zuhörer in ihren Bann zog.
Einen thematischen Bruch, zugleich aber eine Öffnung hin zu aktuellen Fragen von Freiheit und Identität, markierte Stuart Beatchs Werk „I Am Like Many“. Das 2018 entstandene Stück thematisiert die Situation homosexueller Männer im England des Jahres 1958. Sein Einsatz im Konzertprogramm erinnerte zugleich an die Verfolgung Homosexueller während der NS-Zeit. In Beatchs Musik spiegeln sich Verletzlichkeit und Mut, Schmerz und Selbstbehauptung. Der Landesjugendchor interpretierte das Werk mit klanglicher Transparenz, wodurch die Worte und Harmonien berührten. Die Botschaft war deutlich: Erinnerung darf sich nicht nur auf das Leid der Vergangenheit beschränken, sondern muss auch auf die Menschenrechte in der Gegenwart zielen.
Benjamin Brittens „Advance Democracy“ leitete den zweiten Teil des Konzerts ein. Das 1939 entstandene Werk schien die kommenden sechs Jahre des Zweiten Weltkriegs bereits vorauszuahnen: Es beginnt düster und beunruhigt, steigert sich jedoch zu einem machtvollen Aufruf, die Werte der Demokratie zu verteidigen. Der Chor brachte diese innere Entwicklung zum Ausdruck – von der beklemmenden Unsicherheit zu einer fast hymnischen Entfaltung der Hoffnung.
Nach diesem emotionalen Wendepunkt nahm das Programm eine zunehmend hellere Färbung an. Oliver Gies’ humorvolle Vertonung von Theodor Fontanes Ballade „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ brachte ein Lächeln in die Gesichter des Publikums. Leichtfüßig und mit feiner Ironie sang der Chor von Großmut und Menschlichkeit – ein Kontrast zu den ernsten Themen zuvor. Neben Chorleiter Nikolas Fink übernahmen bei einigen Werken auch seine Chorassistenten das Dirigat.
Im weiteren Verlauf des Abends öffnete sich das Repertoire in Richtung Jazz und Pop. Werke von Duke Ellington, Nat King Cole und Sting verbanden die Aussagekraft klassischer Chormusik mit der Energie moderner Klänge. Jacob Colliers „World O World“ bildete den Abschluss: ein vielstimmiges, harmonisch reiches Stück, das die Idee einer gemeinsamen, vielfältigen Welt feiert. Hier zeigte der Landesjugendchor noch einmal seine stilistische Wandlungsfähigkeit und den Umgang mit verschiedenen vokalen Techniken.
Die Stimme – das ureigenste Ausdrucksmittel des Menschen – wurde an diesem Abend zum Instrument des Erinnerns und des Hoffens. Die Landesmusikräte in Deutschland haben sie zum „Instrument des Jahres 2025“ erhoben und die Klassikbühne Rhein-Sieg haben dies als Motto ihrer Festivalreihe ausgerufen, wie Christian Brandt, Geschäftsführer der ausrichtenden Stiftungen der Kreissparkasse Köln, in seiner Begrüßung erläuterte. Der Landesjugendchor NRW, ein Projekt von Chorverband NRW und Landesmusikrat NRW, gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW, zeigte so die vielen Facetten des Instruments des Jahres.
rvz