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"Zwischen Klang und Gegenklang": Jugend komponiert NRW 2015

Der Star der ersten Komposition des Abschlussabends von "Jugend komponiert 2015" saß auf dem Flügel im Kölner Konzertsaal der Musikfabrik und sackte kurz vor Beginn des Stücks zusammen: Hops hat einen zotteligen Kopf und er hat Haltungsprobleme, denn er ist aus Stoff. Gleichwohl mit Inbrunst trugen drei Mädchen - Pia Molitor, Zoe Molitor und Komponistin Johanna König aus Overath - Johannas Lied "Hops findet einen Schatz" vor. Die Melodie bewegt sich überwiegend in stufenweisen Tonfolgen, sie ist schlicht und effektiv, auch die Begleitakkorde sind auf das Notwendige beschränkt und das Ganze funktioniert. Die Jury war so beeindruckt von der jüngsten Teilnehmerin, dass sie einen Sonderpreis vergab, das Publikum war begeistert.

Seit 1982 führt der Landesmusikrat "Jugend komponiert NRW" alle zwei Jahre durch. Kinder und Jugendliche, die eine allgemeinbildende Schule in Nordrhein-Westfalen besuchen, reichen Kompositionen in den Kategorien "Musik in traditionellen Sparten", "Musik in modernen/avantgardistischen Kompositions- und/oder Notationsarten" sowie "Improvisationen, Tonbandmusiken, Collagen, Computermusiken" ein. Eine Jury vergibt Preise, die mit dreistelligen Geldbeträgen dotiert sind. Die Jury bestand 2015 aus Prof. André Stärk (Vorsitz), Karin Haußmann, Wilfried Maria Danner, David Graham und Dr. Walter Lindenbaum. Und zum Schluss stellen Kammermusikerinnen und -musiker eine Auswahl an Preisträgerkompositionen in einem Konzert vor.

Jörg Lengersdorf moderierte den Abend am 3. Oktober 2015 im Studio der Musikfabrik und er führte kleine Interviews mit den Komponisten. Mit Christian Brandenburger aus St. Augustin etwa, der eine "Miniatur für Flöten I" vorgelegt hat, welche die Blockflötisten Maral Mahmoudi, Franziska Salmer und Sarah Plum sowie die Querflötisten Katrin Hülsmann, Ilona Wackenhut und Anne-Ruth Brockhaus interpretierten. Brandenburger spielt nicht Flöte. Dass er für ein Flötenensemble schrieb, liegt daran, dass in den Raum der Rheinischen Musikschule, in dem er Unterricht erhält, Flötenklänge aus den Nachbarrräumen schallen und ihn anregten.

Der spanische Begriff "de puntillas" heißt in etwa "auf Zehenspitzen" und so artikulierte Clara Jäckle auch auf ihrer Violine das Werk "de puntillas" von Laura Erlenhöfer Diez aus Düsseldorf. Laura hat nur eine Zeitlang Geige gespielt, wie sie Lengersdorf gestand, aber sie weiß das Instrument spannungsvoll einzusetzen. Der Komponist und Pianist Mark Vogler aus Gelsenkirchen trug seine impressionistisch fließende und tonale "Oszillation zwischen Klang und Gegenklang" selbst am Steinway vor. Der 17-Jährige spielt auch in einer Bigband und er arbeitet an einer zweistündigen Oper nach eigenem Libretto. Seine Schule erkennt dies als Besondere Lernleistung im Abitur an. Das ist nicht selbstverständlich. Viele Schulen in NRW tun sich mit der Anerkennung des Einsatzes einzelner Schülerinnen und Schüler für Instrumentalspiel, Gesang und Komposition schwer.

Von Lukas Döhler aus Düsseldorf stellten der Geiger Enrique Carlsson und die Cellistin Cosima Gietzen das Duo "Kalte Wärme" vor, eine atonale Verbindung musikalischer Widersprüche. Der 15-jährige Komponist und Geiger schreibt schwerer als er spielen kann - so erläuterte er Lengersdorf - und freut sich über diese Unterstützung. Auch ein Quintett namens "Feedback" seiner Hand erklang, das Duo verstärkte sich dafür um Clara Jäckle, den Bratschisten Anton Brezinka und den Cellisten Niklas Krug. Nein, trotz der auffälligen Quintett-Besetzung mit zwei Celli war Schubert für ihn kein Vorbild, beteuerte Lukas Döhler.

Die Werke der Kategorie C können nicht live aufgeführt werden. Ein Tontechniker spielte sie über die Saallautsprecher ein. Niels Wörheides "Eine weite Reise" ist eine tänzerische Komposition mit synthetischen Zutaten. Der Wuppertaler spielt gerne mit groovenden Tonfolgen und Offbeat. Suggestiv wirken drei elektronische Werke von Frederyk Sperling aus Drolshagen: "Siren", "Drown" und "Freedom" leben von fantasievoll kombinierten oder eher collagierten Klangfetzen, im Falle der letzten beiden Titel gestützt auf bewusst einfach gehaltene Grooves. Eindrucksvoll treibt hingegen Johann Lensing die Konzertbesucher in einen "Notfall". Er verwendet Geräuschaufnahmen, die er selbst während eines Fluges vornahm, sowie Aufnahmen von Pilotenfunk aus dem Internet, und er unterlegt synthetische Klänge, deren Glissando ungute Assoziationen erweckt. Das Stück des Düsseldorfer Soundtüftlers entstand bereits 2013, noch vor den verheerenden Luftunglücken der letzten beiden Jahre.

Wie bringt man Kinder dazu, musikalisch kreativ zu arbeiten, fragte Lengersdorf Jurorin Karin Haußmann. Viele Kinder entwickeln das Bedürfnis musikalisch zu experimentieren fast von allein, erläuterte Karin Haußmann, aber seit etlichen Jahren unterstützen Musikpädagogen das kreative Arbeiten in Freiräumen mehr, als es früher üblich war. Die Herangehensweise der Pädagogen besteht in der Frage 'was kommt von den Kindern und wie kann ich das stützen', nicht etwa im Vermitteln von Formschemata. Das begünstigt die Komponierlust unter Kindern und Jugendlichen deutlich.

Zum Schluss des Abends interpretierten Philipp Lojak an der Gitarre und Nicola Stock an der Mandoline den Stein "Turquoise" von Valentin Ruckebier. Im Gespräch mit Lengersdorf holte Ruckebier ein Exemplar aus der Tasche und hielt es kurz ins Licht. Seine Komposition wirkt in der Interpretation der beiden Zupfer fragil, und in der Tat ist der Turquoise ja durchaus zerbrechlich, verbunden mit einer Schönheit, die Objekt wie Tonsatz teilen. Seit vielen Jahren ist Ruckebier Stammteilnehmer des Wettbewerbs. Schon als Kind reichte er Kompositionen ein und gewann regelmäßig Preise, in diesem Jahr gleich drei, so dass Karin Haußmann und Robert v. Zahn ihm bei der Auszeichnung gleich ein Bündel Urkunden und Schecks übergaben. "Turquoise" ist gleichzeitig sein Abschied von diesem Wettbewerb. Nach dem Abitur wird der Komponist neue Foren suchen.

Jugend komponiert NRW ist ein Wettbewerb des Landesmusikrats NRW und wird vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW gefördert. Die Organisation lag in den Händen von Michael Bender, Juryvorsitzender ist Prof. André Stärk, Detmold.

rvz

Fotos: Johanna König, Pia Molitor und Zoe Molitor singen "Hops findet einen Schatz" am 3. Oktober 2015 im Studio der Musikfabrik Köln; Clara Jäckle, Enrique Carlsson, Anton Brezinka, Niklas Krug und Cosima Gietzen spielen Lukas Döhlers "Feedback"; Jörg Lengersdorf im Gespräch mit Laura Erlenhöfer Diez; Maral Mahmoudi, Franziska Salker, Sarah Plum, Katrin Hülsmann, Ilona Wackenhut und Anne-Ruth Brockhaus bringen Christian Brandburgers "Miniatur für Flöten I" zur Uraufführung; Marc Vogler stellt seine "Oszillation zwischen Klang und Gegenklang" vor; Fotos: LMR NRW.