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"Viele Köche würzen den Brei": Tagung zur musikalischen Bildung in Essen

Mehrwert oder "Viele Köche...?" Fachtagung zu musikpädagogischen Programmen in Schulen am Beispiel der Stadt Essen, 29. Mai 2015 in der Weststadthalle Essen, veranstaltet vom Landesmusikrat NRW und der Stadt Essen

Musikpädagogische Programme von außerschulischen Trägern für den schulischen Raum haben sich in den vergangenen zehn Jahren vermehrt. Während der Fachunterricht Musik in Schulen immer seltener von Fachkräften gegeben wird oder überhaupt stattfindet, erhalten Schulen häufiger Projekt- oder Programmangebote von Stiftungen oder vom Land NRW. Tagungen und Kongresse haben diese schon verschiedentlich thematisiert. Oft gingen sie von jenen außerschulischen Trägern selbst aus und nicht selten liefen sie Gefahr, selbstreferenziell zu werden. Die Tagung des Landesmusikrats NRW und der Stadt Essen wählte deshalb eine Perspektive aus der Schule heraus auf diese Programme.

Die Vorträge, Panels und Reflexionen teilten sich in zwei Tageshälften: Die erste gehörte den Lehrinnen und Lehrern bzw. Leiterinnen und Leitern von Essener Schulen, die Erfahrungen mit Programmen von außerschulischen Trägern gemacht haben. Die zweite bot Vertretern der Programme Gelegenheit, auf Kritiken und Anregungen der ersten Tageshälfte zu reagieren. Einiges kam da zusammen, sowohl an Leistungen, an Kritik, aber auch an Engagement im schulischen Raum. Nicht wenige staunten, was in der Ruhrstadt alles möglich ist und mit welcher Vielfalt die Lehrer verschiedener Profession doch Bildungsangebote zustande bringen.

Deshalb fielen schon die Begrüßungen durch Kulturdezernent Andreas Bomheuer und Landesmusikratspräsident Werner Lohmann positiv aus - stolz der eine auf das, was Essen an unterschiedlichsten Bildungs- und Vermittlungsangeboten zusammenbringt, freudig der andere über das vielfältige Engagement der außerschulischen Träger. Denn wenn die Tagung auch kritisch die Metapher der Auswirkungen der vielen Köche auf den Brei bemühte, dann gilt der Vielzahl der Programme zunächst einmal Freude, so Werner Lohmann. Mit kurzen Statements verdeutlichten dann Walter Lindenbaum (Bundesverband Musikunterricht NRW), Werner Rizzi (Folkwang Universität der Künste) und Christian de Witt (Folkwang Musikschule), alle drei Mitglieder des Präsidiums des Landesmusikrats, die verschiedenen Blickwinkel von Schulmusik, Hochschule und Musikschule auf das Miteinander von Schulischen und außerschulischen Akteuren.

Logistische Herausforderung der Grundschulen

Peter Grabowski führte durch die Tagung und freute sich, auch die Stellvertretende Ministerpräsidentin und Schulministerin Sylvia Löhrmann ankündigen zu können. Im ersten Panel saßen auf beigen Sofas Gudrun Bordihn, Schulleiterin der Graf-Spee-Schule und Betreiberin von Musikklassen in Kooperation mit der Folkwang Musikschule, Peggy Skopp, Konrektorin an der Grundschule Heinickestraße und Projektteilhabende am "Essener Singnetz" in Kooperation mit der Folkwang Musikschule, und Regina Wiesweg zusammen, Stellvertretende Schulleiterin an der Joachimschule Essen-Kray und Partnerin von "Jedem Kind ein Instrument" sowie des Übehauses Kray.

Für alle drei bedeuten die Musikangebote große logistische Herausforderungen. Die Koordination der Lehrkräfte unterschiedlicher Qualifikation, die Raumfrage und die Elternarbeit fordern eigentlich personelle Unterstützung, die nicht vorhanden ist. Bei Regina Wiesweg fällt der reguläre Musikunterricht schon einmal aus für die Jeki-Arbeit. Es gibt an ihrer Schule eh keine ausgebildete Schulmusiklehrerin, wie Wiesweg lakonisch bemerkte. Auch beklagten sie, dass die individuelle Förderung oft nicht möglich ist. Es müssten kleinere Gruppen möglich werden. Üben ist erschwert oder kaum möglich. Wenn die Kinder gegen 17 Uhr nachhause kommen, sehen die Eltern keine Möglichkeit zum Üben mehr. Übezeitfenster in Nachmittag sollten eingeräumt werden. Die Standards der Programme sind den Schulen manchmal zu eng. Bordihn etwa hatte Jeki abgesagt, weil sie die geforderte Instrumentenvielfalt nicht bieten möchte und in der Konzentration auf ein Instrument, nämlich auf die Flöte, eine Chance sieht, kontinuierliche Entwicklung mit feststellbaren Fortschritten zu ermöglichen. In der Raumfrage erwarten alle drei Panel-Teilnehmerinnen mehr Unterstützung von der Kommune.

Diskussion systemischer Fragen bei den weiterführenden Schulen

Die zweite Sofarunde widmete sich der Sekundarstufe 1 und bestand aus Wolfgang Pappe, Musiklehrer an der Gesamtschule Nord, der Klassenmusizieren mit eigenen Konzepten durchführt, Stefan Grafers, Musiklehrer an der Gertrud-Bäumer-Realschule, der mit dem Jamtruck von der Stiftung Mercator und der Folkwang Musikschule kooperiert, Jan Meier, Musiklehrer am Leibniz-Gymnasium, der mit der Folkwang Musikschule Bläserklassen anbietet, und Annette Nowak-Reeves, didaktische Leiterin an der Erich-Kästner-Gesamtschule, die mit den Kulturagenten der Stiftung Mercator arbeitet. Hier wurden vor allem systemische Fragen diskutiert.
Wolfgang Pappe erläuterte, warum er nur mit eigenen Konzepten erfolgreich Musikangebote an seiner Schule installieren konnte. Grafers ist ein Fan des Jamtrucks, sieht aber eine mangelnde Kompatiblität darin, dass der Truck außerhalb des Schulgeländes steht, dass nur Fünfer-Gruppen dort arbeiten können, dass die Effekte der selbst produzierten Songs von den Musikschuldozenten nicht aus dem geschützten Raum des Trucks in die Schule zurückgespiegelt und die Ergebnisse nicht live im schulischen Rahmen aufgeführt werden können.
Ressourcenprobleme, vor allem in Bezug auf Räume (Meier), Schwierigkeiten, Zustimmungen von Eltern zu erlangen, mangelnde Zeiten zur Vorbereitung und Abstimmung zwischen den Pädagogen und schließlich Probleme mit dem Grad an Zuverlässigkeit seitens der von den Kulturagenten eingesetzten Künstler wurden thematisiert. Nowak-Reeves rügte vor allem den unangemessenen Verwaltungsaufwand gegenüber Stadt und Stiftung, Meier klagte zudem über den geringen Grad des musikalischen Könnens von Schülern aus Jeki-Grundschulen, die an seine Schule kommen.

Zahnräder: Kulturministerium, Schulministerium, Kooperationspartner

Um die Sicht der Kooperationspartner auf die Schule vorzubringen, versammelten sich Katrin Gerhard (Jekits), Pia Hegener (Schulministerium), Thomas Baerens (Kulturministerium), Matthias Rietschel (Übehaus Kray), Sabine Starzinger (Folkwang Musikschule), Ulrike Tervoort (Folkwang Musikschule) und Peter Grabowski in den Sofas. Sie entwickelten ein Bild der pädagogischen Landschaft, die von Vernetzung und Systematisierung geprägt ist. Hatte zuvor noch Essens Kulturdezernent Andreas Bomheuer in einem Referat die Rolle der Kommune als zentraler Vernetzer in der Bildungslandschaft betont und begründet, rückte jetzt mehr die Landesregierung in den Blick. Pia Hegener aus dem Referat Ganztag und Kulturelle Bildung des Schulministeriums wies darauf hin, dass schon der Offenen Ganztagsschule die Idee der Zusammenarbeit mit Jugendhilfe und außerschulischen Partnern zugrunde liege. Die Schulen seien in ihren Sozialräumen vernetzt. Regionale Bildungskonferenzen bringen verschiedene Akteure zusammen.

Auch Thomas Baerens sah ein Getriebe von Zahnrädern am Werk, in denen das Referat Musik des Kulturministeriums mit dem Programm Jeki bzw. Jekits lediglich ein Zahnrad sei. Matthias Rietschel, Cellist, Jeki-Lehrer und Gründer des Übehaus Kray, sieht seine Arbeit an der Schnittstelle zwischen Schule und lauter Umgebungswelt, in der das Übehaus einen Ort der Ruhe und der Konzentration auf das Üben biete. Sabine Starzinger betreut das Klassenmusizieren, das 2002 als Projekt im Nachmittagsbereich begann und nun vier Klassen im Vormittagsbereich betrifft, was ständige Koordinationsarbeit mitten im System Schule verlangt. Ulrike Tervoort betreut das Essener Singnetz mit 16 Grundschulen. Neun Mitarbeiter erreichen 800 Kinder, und die Fachleiterin für Gesang in der Folkwang Musikschule wendet mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit für die Koordination des Netzes der Einrichtungen auf.

Wie arbeiten die Ministerien für Schule und für Kultur zusammen? Hegener und Baerens wiesen auf eine interministerielle Arbeitsgruppe zur kulturellen Bildung hin und auf die Bildungsbüros vor Ort, die beraten. Spontan befragte Peter Grabowski das Publikum zu den Bildungsbüros. Von den siebzig Besuchern sind zwölf im aktiven pädagogischen Einsatz im Zuge einer Kooperation und nur eine von diesen kennt die Bildungsbüros. Die Kommunikation muss offenbar weiterhin verstärkt werden.

Regelmäßige gemeinsame Besprechungs- und Vorbereitungszeit

Für den Blick auf die Sekundarstufe als Kooperationspartner traten Christian de Witt, Leiter der Folkwang Musikschule, Klaus Lotze, Musiklehrer der Gesamtschule Nord, und Wiebke Stadler von der Stiftung Mercator und dem Programm Kulturagenten für kreative Schulen auf die Bühne. Wichtig ist, dass jede Woche gemeinsame Besprechungs- und Vorbereitungszeit zur Verfügung stehen muss, erläuterte Christian de Witt. Zudem, dass die Fachlehrer vor Ort immer mitgenommen werden. Wiebke Stadler ist beteiligt am Jamtruck und an den Kulturagenten. Im Falle des Jamtrucks räumt sie Systemschwierigkeiten ein. Die Stiftung hat in den letzten vier Jahren Mittler zwischen den Welten eingesetzt, die Netzwerke knüpften. Der Jamtruck ist eines der ältestens Projekte, es läuft seit 2007. Er liegt ihr am Herzen, doch ginge es heute neu an den Start, würde die Stiftung es nicht mehr fördern, weil es eine sehr punktuelle Intervention darstelle.

Klaus Lotz begründete den Entschluss der Gesamtschule Nord, nicht auf Kooperationen mit außerschulischen Programmen zu setzen, mit der mangelnden Passgenauigkeit der Programme auf die Verhältnisse seiner Schule. Deutlich wurde aus allen Stellungnahmen, dass das Gelingen von Kooperationen sehr oft vom Engagement und der Flexiblität einzelner Personen abhängt. Es gilt, die Programme systemisch so zu verstärken, dass sie unabhängig von der Existenz eines bestimmten Akteurs funktionieren können.

Eine Frage von Ressourcen und der Passung von Aufgabenfeldern

Michael Dartsch von der Hochschule für Musik Saar plädierte in seinem Referat dafür, bei der Beantwortung der Frage, inwieweit musikpädagogische Programme auf die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler wirken können, die Art der Veranstaltung und die Art der Musik differenziert in den Blick zu nehmen. Auch sollte man versuchen, Einseitigkeit musikalischer Erfahrungen zu vermeiden, es müsse vielmehr darum gehen, den musikalischen Horizont zu erweitern. Aus den vier Panels formulierte er folgende Schlussfolgerungen: Erwartungsgemäß seien am meisten Probleme der Kommunikation und der Ressource vorgebracht worden. Was die Kommunikation anginge, gehe es nicht um punktuelles Reden, vielmehr müssten verbindliche Strukturen der Abstimmung entstehen. Die Programme kommen in Fragen der Zeiten, der Finanzierung und der Räume an Grenzen, die Land und Kommunen sehen müssten. Prozesse dürften dadurch nicht ins Stocken kommen. Die Programme sollten zudem so unbürokratisch wie möglich werden. Und es komme sehr darauf an, dass die Kompetenz der Akteure genau zu dem Aufgabenfeld passt. Offensichtlich werde eine Batterie von unterschiedlichen Zielen an konkrete Projekte geknüpft. Bei Jeki etwa habe der Instrumentallehrer das Ziel, das Kind instrumental auszubilden, die Stiftung das Ziel, das Kind musikalisch zu öffnen, und die Politik, das Ziel, das Kind von der Straße zu holen. Die Akteure müssen sich über die Ziele abstimmen und diese Ziele müssen erfüllbar sein.

Situation des Fachunterrichts Musik

Das war eine ideale Vorlage für Peter Grabowski, in der nächsten Runde die Schulministerin selbst zu befragen. Sylvia Löhrmann, Eva Krings, Gruppenleiterin im Kulturministerium, und Holger Noltze, Sprecher des Rats für kulturelle Bildung bildeten mit Grabowski das Schlussquartett. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand vor allem die Situation des Fachunterrichts Musik an den Schulen, deren Defizite das Engagement der außerschulischen Träger mit auf den Plan rufen. Holger Noltze mahnte strukturelle Lösungen an, für die aber schon allererste Voraussetzungen, nämlich genau Daten zum gegebenen Fachunterricht, fehlen würden. Dem Rat für kulturelle Bildung sei es nicht gelungen, vom Schulministerium valide Daten über das Ausmaß des nicht oder fachfremd gegebenen Musikunterricht zu bekommen.

Das sah Ministerin Löhrmann als im System begründet an. Die selbständige Schule in NRW könne selbständig Stellen ausschreiben und festlegen, welche Qualifikation sie sucht. Die Schulleitung sei dabei gegenüber der Schulkonferenz verantwortlich, Steuerungsmöglichkeiten im Schulministerium gebe es da nicht. Die Ministerin begrüßte die Kooperationsprogramme. Ihr Ziel sei es, "in Deutschland eine andere Schule zu gestalten". Und in der Tat habe sich in den vergangenen Jahren der Horizont von Schule seit dem Beginn der Partnerschaften im Offenen Ganztag sehr verändert.

Noltze wies auf den Koalitionsvertrag der Landesregierung hin, der festlegt, dass jeder ein Recht auf kulturelle Bildung hat, während die Realität aber sehr traurig sei. Die Rivalisierung von außerschulischen Angeboten ist nicht produktiv, so Notze, wir müssen von einer Vielzahl von Projekten zu Strukturen kommen. Der Rat für kulturelle Bildung hat eine Allensbach-Umfrage unter Neunt- und Zehntklässlern in Auftrag gegeben, um zu ermitteln, wo kulturelle Bildung stattfindet. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein. Eva Krings vom Kulturministerium lobte die Publikationen des Rats, "Alles immer gut" sei der bislang beste Versuch darzustellen, was kulturelle Bildung ausmacht.

Mit einem bemerkenswerten Elan hatten Kinder der Grundschule an der Heinickestraße die Tagung des Landesmusikrats NRW und der Stadt Essen eröffnet. Die Bühne mochte die Schar von über hundert Sängerinnen und Sängern kaum fassen, als sie "Alle Vögel alle" anstimmten – leise und zurückhaltend, mit jähem Groove vom Klavier in die "Drei Chinesen am Kontrabass" übergehend. Den Ausklang der Tagung bot die Bläserklasse des Leibniz-Gymnasiums, geleitet von Fine Mallus und Jan Meier, mit Bezug zu Afrika: Die "Serengeti" kam mit begleitender Perkussion am besten beim Publikum in der Weststadthalle an und entließ dieses nach einem Tag voller Anregungen.

Die Tagung des Landesmusikrats NRW und der Stadt Essen wurde vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW gefördert. Die inhaltliche Konzeption erfolgte in der Themengruppe Bildung des Präsidiums des Landesmusikrats in Abstimmung mit dem Kulturdezernat der Stadt Essen. Die Organisation lag seitens des Landesmusikrats in den Händen von Heike Stumpf.

(Robert von Zahn)

Fotos: Am 29. Mai 2015 während der Tagung zur musikalischen Bildung in der Weststadthalle Essen: Eva Krings vom Kulturministerium, Moderator Peter Grabowski, Schulministerin Sylvia Löhrmann und der Sprecher des Rats für kulturelle Bildung Holger Noltze; Bläserklasse des Leibniz-Gymnasiums Essen; Fotos: Thomas Ahrendt, Studio 157.

Peggy Skopp, Peter Grabowski, Gudrun Bordihn und Regina Wiesweg; Kinder der Grundschule an der Heinickestraße Essen; Jan Meier, Peter Grabowski, Annette Nowak-Reeves, Wolfgang Pappe und Stefan Grafers; Fotos: LMR NRW.