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Tagung „Musikleben und Digitalität: Was retten wir an Digitalität aus der Pandemie ins neue Zeitalter?“, 18.8., Köln

In den Mitgliedsverbänden des Landesmusikrats gibt es drängende Fragen nach den Auswirkungen von Digitalität auf unser Musikleben und nach den Nutzungsmöglichkeiten digitaler Hilfsmittel. Von den alternativen digitalen Präsentations- und Probenmöglichkeiten, die in der Pandemie eingeführt wurden, haben nicht alle die Rückkehr ins herkömmliche Kulturleben überlebt. Aus gutem Grunde oder eher, weil Musikerinnen und Musiker die alten Gewohnheiten schätzen?

Referate und Podiumsgespräche, die in Diskussionen mit dem Publikum münden, stellen sich diesen Fragen und leiten aus dem Blickwinkel der Delegierten im Landesmusikrat NRW in die Zukunft von Musikleben und Digitalität. Am Abend bietet eine Veranstaltung Musik zum Thema, die speziell aus den Genres der komponierten Neuen Musik, der elektronischen Musik und der Improvisierten Musik kommt.

Die Tagung ist öffentlich. Anmeldung erforderlich: https://www.lmr-nrw.de/anmeldung-konferenz.

Zu Beginn der Tagung um 10 Uhr begrüßen Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft NRW, und Reinhard Knoll, Präsident des Landesmusikrats NRW.

„Musikleben und Digitalität: Was retten wir an Digitalität aus der Pandemie ins neue Zeitalter?“
Tagung des Landesmusikrats NRW
in Kooperation mit Ensemble Musikfabrik
gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW
18.8.2023, 10 Uhr, Studio der Musikfabrik, Mediapark 7, Köln

Referate und Podiumsgespräche

  1. Matthias Hornschuh: Digitalität nach der Pandemie
    Digitalität ist der Status Quo nach erfolgter Digitalisierung, wobei letztere nicht etwa zu einem definierten Zeitpunkt abgeschlossen ist und endet, sondern ein offener, andauernder Prozess ist. Als Betroffener weiß man allerdings irgendwann, dass man darin angekommen ist. Dass irgendetwas, etwas Grundsätzliches, anders ist als zuvor. Und was wurde uns nicht alles versprochen. Die „Demokratisierung“ der Produktionsmittel. Zugang, Auffindbarkeit, Vielfalt, Teilhabe. Derzeit liegt das Stichwort „Gemeinwohlökonomie“ hoch im Kurs, und interessanterweise bedeutet es in allen Aspekten Geistigen Eigentums eigentlich immer neue, weitere Eingriffe in unsere Autonomie, unsere Souveränität als Rechteinhaber. Und damit einen Angriff auf unsere einzige wirtschaftliche Lebensgrundlage. Grund zum Jammern? Jein.

    Digitale Tools ermöglichen schöpferisches Schaffen, das ohne sie schlicht nicht möglich wäre. Sie befreien Kreative von der Bindung an ungeheure Infrastrukturen wie riesige und atemberaubend teure Tonstudios. Für uns, die wir Musik schaffen, also kompo­nieren, interpretieren und produzieren, heißt Digitalität aber vor allem auch: Unendlich viel (unsichtbare) Arbeit. Installation, Administration, Backups, Backups von Backups, Serverinfrastrukturen … Mit Papier und Bleistift war manches eben doch fokussierter. Hinzu kommt, dass sich mit der Digitalisierung die Prinzipien „Cut out the Middlemen“ und „Do it yourself!“ verselbständigten. Anstelle der Middlemen traten Oligopole, und vieles von dem, was uns heute von Früh bis Spät auf Trab hält, hätten früher in der Regel andere übernommen; womöglich hoch bezahlte Spezialisten. Wir aber machen Akquise, Steuern, Tantiemen, Verträge, PR & Kommunikation, Merchandise und und und … selbst. Weil es möglich ist - aber auch, weil es nötig ist, weil es, schlicht und ergreifend, anders gar nicht mehr finanzierbar ist. Siehe oben. Und das bedeutet für viele von uns: weniger Zeit und Fokus für die eigene Kunst.


    Digitalität lässt uns vieles machen, macht aber mindestens so viel mit uns. Digitalisierung kann man gewichten, Digitalität aber ist umfassend. Wie wenig Gesellschaft und Staat von der Arbeitssituation, von den Geschäfts- und Erlösmodellen der überwiegend soloselbständigen digital agierenden schöpferisch Tätigen verstehen, hat spätestens die Corona-Pandemie erbarmungslos offengelegt. Das völlige Fehlen gemeinschaftlicher Terms of Trade für die digitale Bewirtschaftung kultureller Güter und Leistungen geht weit über das Fehlen tragfähigen Rahmenrechts hinaus und ist tief im Kulturellen verortet.

    Dass die Digitalität kultureller Güter und Praxen schließlich unmittelbare Rückwirkungen auf die Kulturgüter hat, ist inzwischen weit beschrieben. Im Pop gibt es immer weniger Intros, der erste Chorus muss binnen 20 Sekunden zu hören sein, und so wenige Tonartwechsel wie heute gab es im Pop noch nie. So wird Pop in seinem Mainstream immer gleichförmiger - und das wiederum bereit den Boden für seine Hinfälligkeit: Was sich nicht unterscheidet, was maschinell klingt, ist prädestiniert, mittelfristig einer generativen Künstlichen Intelligenz zum Opfer zu fallen. In meiner Welt der Medienmusik ist absehbar, dass ein Teil des eher niederschwelligen Massenmarkts über kurz oder lang verloren gehen wird. Und was musikalische Kneipenbeschallung angeht, also den Bereich der Stillevermeidungsmusik, gilt das erst recht und deutlich früher. Wem sollen diese Musiken gehören, wer wird an ihnen verdienen, werden diejenigen, mit deren Musik die Maschinen „trainiert“ werden, entschädigt? Und was bedeuten die Umwälzungen in Kunst, Kultur und Medien für den Rest der Arbeitswelt? Die Spielregeln für solche dystopischen Szenarios werden zur Zeit ausgehandelt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir uns derzeit in einer disruptiven Dynamik befinden, die die dramatischen Effekte der Napster-Phase Ende der 90er Jahre bei weitem übertreffen wird.
     
  2. Carolin Schwarz: Digitale Produktion und Präsentation von Musik seit der Pandemie
    Schon vor der Pandemie war der Einsatz digitaler Techniken in der Produktion von Musik selbstverständlicher, als vielen im Musikleben klar war. Die Schutzvorschriften während der Pandemie sorgten für einen weiteren Schub dieser Entwicklung. Gleichzeitig wanderte notgedrungen auch die Präsentation von Live-Musik in den digitalen Raum. Während im Bereich der Produktion die Ergebnisse der Pandemiezeit bleiben und weiterentwickelt werden, sind Zweifel angebracht, ob die digitale Präsentation bei Musikfreund’innen einen nachhaltigen Effekt hat. Das hat auch gute Gründe.

     
  3. Thomas Hanz: Digitale Ebenen in der Arbeit von Musikschulen und das Programm Musikschule.digital.NRW
    Die öffentlichen Musikschulen in Nordrhein-Westfalen waren teilweise innerhalb weniger Stunden bereit, ihren Bildungsauftrag während des ersten Lockdowns der Corona-Pandemie in Form von Online-Unterricht zu erfüllen. In einer steilen Lernkurve machten sich die Lehrer:innen mit Videokonferenztools, Online-Pinnwänden und anderen digitalen Werkzeugen vertraut. Mit der Digitalisierungsoffensive der Landesregierung im Rahmen des Corona-Kulturstärkungsfonds erhielt der LVdM NRW zum einen den Auftrag, die öffentlichen Musikschulen mit aktueller Technik für die musikpädagogische Arbeit auszustatten und zum anderen ein Fortbildungskonzept zu entwickeln, das die Kolleg‘innen vor Ort begleitet. Anhand des daraus resultierenden Programms Musikschule.digital.NRW wird der Stand der Digitalisierung an den öffentlichen Musikschulen in NRW beschrieben und untersucht, welche Kompetenzen aus der Digitalisierung nach wie vor relevant sind.
     
  4. NN: Musikalische Bildung und Künstliche Intelligenz
    Künstliche Intelligenz kann Innovation in die Vermittlung musikalischer Inhalte, in die Zielgruppenansprache, in das kreative gemeinsame musikalische Arbeiten und mehr bringen. Den Gefahren von KI stehen mindestens so viele Chancen gegenüber. Durch den Einsatz von KI-Generatoren oder -Effekten können Klanglandschaften geschaffen werden, die mit analogen Instrumenten allein nicht möglich wären. Und KI-gesteuerte Lernsysteme können helfen, die Spieltechnik zu verfeinern. Chancen korrelieren mit drohenden Abhängigkeiten.
     
  5. Podiumsgespräch: Alissa Krusch spricht mit Felix Herrmann (Chorjugend NRW) und Toni Ulrich (Emmaus-Kantorei Willich)
    Für Musikvereine, Chöre und Amateurmusikformationen aller Art können digitale Hilfsmittel entscheidend bei der Nachwuchsarbeit sein. Nach drei Jahren Pandemie genügen die probaten Methoden der Nachwuchsgewinnung von Instrumenten­vorstel­lungen über das versuchsweise Mitproben bis zum Mitmarschieren bei Umzügen nicht mehr. Die Arbeit über soziale Medien muss die Nachwuchsarbeit ergänzen. Alissa Krusch spricht mit zwei Vertretern der Amateurmusik über Erfahrungen zwischen Apps und TikTok.
     
  6. Ryan Rauscher: Alternative Abrechnungsmodelle im Musikstreaming
    Die Einnahmen aus dem zahlungspflichtigen Musikstreaming stellen mit weltweit jährlich $12,6 Milliarden die größte Einnahmequelle für Künstler‘innen dar. Die Regelung, wie dieser Geldtopf unter allen Künstler‘innen aufgeteilt wird, beeinflusst maßgeblich, wie viele und welche Musiker‘innen von Musik leben können. Das heute gängige Abrechnungsmodell, Pro-Rata, wird von vielen Seiten kritisiert, da die stetig wachsenden Umsätze aus dem Streaming bei vielen Künstler‘innen nicht anzukommen scheinen. Als alternatives Modell wird meist das sogenannte User-Centric Payment System (UCPS) gefordert. Der Verband Pro Musik hat eine Datenanalyse in Auftrag gegeben, welche die Auswirkungen eines solchen Modells beleuchtet. Die Ergebnisse der Analyse zeigen auf, dass ein UCPS signifikante Auswirkungen auf die Geldverteilung hätte. Sie liefern zudem neue Erkenntnisse dazu, welche Typen von Künstler‘innen und Audioproduzenten von diesem neuen Modell profitieren würden. Neben den inhaltlichen Erkenntnissen ist es - vor allem im Hinblick auf die Interessenvertretung - wichtig, Musiker‘innen für das Thema alternative Abrechnungsmodelle zu sensibilisieren und den Stellenwert dieser Diskussion für ihre Einkommenssituation zu betonen. Darüber hinaus gilt es, Möglichkeiten zur Erhöhung der Transparenz zu identifizieren, sowie Künstler‘innen Wege aufzuzeigen, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen.
     
  7. Michael Edwards: Zur Akzeptanz digital entstandener Musik
    Digital entstandene Musik ist in allen Genres möglich, nicht nur in der Nachfolge Karlheinz Stockhausens oder in der Popmusik. Und tatsächlich gibt es auch in fast allen Genres digital erzeugte Musik. Gleichwohl ist die Akzeptanz dieser Musik über die Genres hinweg sehr verschieden. Im Wege steht ihr unter anderem, dass ihre Digitalität nicht sichtbar und nicht in ihren Strukturen wahrnehmbar ist.

     
  8. Abschlussrunde mit Alissa Krusch, Michael Edwards, Matthias Hornschuh

Abendveranstaltung

Musik

  • Michael Beil, String Jack (2016) for cello solo with live-video and tape, Dirk Wietheger (Violoncello)
  • Studierende der Kompositionsklasse von Michael Edwards, Folkwang Universität der Künste, Digitale Gruppenimprovisation
  • Quartett des Jugendjazzorchesters NRW: Luzie Micha (Flügelhorn), Felix Ziech (Gitarre), Carlotta Ribbe (Vibraphon), Lena Lorberg (Bass)

Wortbeiträge von

  • Michael Edwards, Folkwang Universität der Künste
  • Michael Reitemeyer, Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW
  • Werner Lohmann, Ehrenpräsident des Landesmusikrats NRW