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Nachhaltigkeit von Musikprojekten mit Geflüchteten: Eine Tagung des Landesmusikrats bilanzierte

„Machen Sie bloß keine Integrationsarbeit – schon gar nicht mit Musik, das geht nur in die Hose,“ provozierte Hayat Chaoui zu Beginn ihres Vortrags. Die Fachbereichsbetreuerin für Gesang der Bergischen Musikschule und Beisitzerin im Präsidium des Landesmusikrats NRW jonglierte in einem ebenso klugen wie sarkastischen Vortrag mit den Klischees, mit denen Durchführende von Musikprojekten mit Geflüchteten immer wieder konfrontiert sind. Chaoui kann es sich leisten, denn ihre Arbeit mit Kinder- und Wiegenliedern anderer Kulturen in Kindertagesstätten und ihr Chor „Women of Wuppertal“, bei dem Sozialträger mit der Musikschule zusammenarbeiten, sind mehrfach ausgezeichnet und – wichtiger noch – zu wesentlichen Teilen der Stadtgesellschaft von Wuppertal geworden.

Gleichwohl mindert dies die ständigen Hindernisse bei der Arbeit kaum – von der Zielgruppenansprache bis zur Durchsetzung verlässlicher Zeiten. Die Erfolge sind aber unbestreitbar nachhaltig, und solche stellte der Landesmusikrat in einer Abfolge von sechs Vorträgen, drei Gesprächsrunden und fünf musikalischen Darbietungen am 24. November 2018 in der Düsseldorfer Johanneskirche zur Diskussion.

Als die Stadt Düsseldorf 2015 wie alle Kommunen in Deutschland erhebliche Anstrengungen unternehmen musste, um ankommende Flüchtlinge erstzuversorgen, unterzubringen und in ersten Schritten mit Unterstützung von ehrenamtlichen Kräften in die Aufnahmegesellschaft zu überführen, war die Johanneskirche ein wichtiges Forum. Hier wurden Initiativen vernetzt und Energien gebündelt. Heinz-Werner Frantzmann, Pfarrer an der Johanneskirche Düsseldorf, freute sich deshalb, dass auch die Tagung des Landesmusikrats NRW und seiner Partner im Bach-Saal der Johanneskirche stattfindet. Er begrüßte an die neunzig Akteure aus ganz Nordrhein-Westfalen, die zusammengekommen waren, um zuvorderst zu diskutieren, was an Musikprojekten mit Geflüchteten eigentlich nachhaltig ist und wie Effekte in die Zukunft weitergetragen werden können.

Mit den Partnern Landesmusikrat, Johanneskirche, dem Kulturamt und dem Amt für Migration und Integration der Landeshauptstadt, dem FlüchtlingsRat NRW und der Diakonie Düsseldorf konnte die Tagung eine beachtliche Phalanx an unterschiedlichem Engagement bilanzieren. Bei aller Kritik an Fehlentwicklungen stellte Reinhard Knoll, Präsident des Landesmusikrats, in seiner Begrüßung doch selbstbewusst fest: „Es gibt in der Bilanz so viel Gutes und Wertvolles, es wird aber hauptsächlich über das geredet, was nicht klappt. Wir wollen heute über beides sprechen. Viel ist von den hier versammelten Partnern und gerade auch von der Stadt Düsseldorf auf dem Gebiet geleistet worden.“

Miriam Koch, Leiterin des Amts für Migration und Integration der Stadt Düsseldorf, war 2015 Flüchtlingsbeauftragte der Stadt. Als solche initiierte und koordinierte sie auch ehrenamtliches Engagement und beriet in Gesprächen auch den Landesmusikrat, als er begann, Musikprojekte mit Geflüchteten anzuregen und zu fördern. Es waren Monate, in denen Düsseldorf Drehkreuz der Flüchtlingszuweisungen wurde und große Anstrengungen der Unterbringung und Versorgung leistete. Koch rechnete in ihrem Vortrag mit der Begriffsbildung „Flüchtlingskrise“ ab. Eine solche sei es nie gewesen, vielmehr eine Krise der Verwaltungen und der Gremien. Mittlerweile sind 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Nur ein Bruchteil kommt in Europa an. Für Koch zeigt sich, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die kommunalen Verwaltungseinrichtungen in Bezug auf Kooperation nicht gut aufgestellt waren. Sie ist jetzt Chefin von 500 Mitarbeitern, damals saß sie in einem Büro der Ratsfraktion der Grünen.

Die Zahlen der Geflüchteten seien seit 2015 gesunken, weil Europa sich abgeschottet habe, nicht weil Fluchtursachen bekämpft worden seien. Zu den letzteren zählt Koch auch den westlichen Lebensstil. In einer Zeit, in der die öffentlichen Kassen gefüllt seien, habe sich Deutschland im Rahmen des EU-Umsiedlungsprogramms vom April 2018 („Resettlement“) lediglich verpflichtet, 10.000 Menschen aufzunehmen. Das sei verschwindend.

Viele von den Angekommenen würden sehr lange bleiben und das erfordere Anstrengungen bei der Integration. Gerade deshalb begrüßt sie das ehrenamtliche Engagement, denn ohne die Bürgerschaft sei die Integration nicht zu schaffen. Die politische Entscheidung, Sprachkurse nur für Geflüchtete mit Bleibeperspektive anzubieten, sei eine Fehlentscheidung gewesen. Auch hier müsse nun das Engagement anderer Brücken bauen.

Musikalisch präsentierte sich eine Initiative aus Hattingen, das Singcafé International, in dem regelmäßig Einheimische und Zugewanderte zusammen proben und Auftritte vorbereiten. Vorstandsmitglied Robou Khansa gab einen Überblick über die Probleme und Lösungen in der Probenarbeit. Ferner spielte das Perkussions-Ensemble „Kalimba“ aus Kall, das Alice Gempfer aus der Gemeinde als Ergebnis partnerschaftlicher kultureller Integrationsarbeit vorstellte. Die Rockband „Roaches“ besteht aus fünf Geflüchteten und Dozenten, von denen sich die Gitarristen Emil Hosh und Kai Yantiri die Leitung teilen. Das Zupforchester „Al Watan“ ist einer Kooperation der Mandolinen Konzertgesellschaft Wuppertal und der Bergischen Musikschule zu verdanken. Geflüchtete wurden mit Zupfinstrumenten versorgt und im Spiel ausgebildet. „Al Watan“ besteht aus 18 Zupfmusikern unterschiedlicher Kulturkreise unter Leitung von Thomas Horrion und es führte ein entsprechend vielfältiges Programm vor. Gleich zwanzig Musikerinnen und Musiker umfasst das Oud-Ensemble von Raed Khoshaba, das aus seinem Programm bearbeitete Volksweisen „Vom Euphrat bis zum Rhein“ präsentierte.

Diskussionsrunden widmeten sich den Qualifizierungen für Geflüchtete und einheimische Musikerinnen und Musiker, den unterschiedlichen Bedürfnissen verschiedener sozialer Gruppen und der zielgruppengerechten Ansprache bei kulturell unterschiedlichen Gruppen.

Die Stellungnahmen und Ergebnisse werden in einem Bericht zusammengefasst, der auf dieser Website zum Download bereit gestellt werden wird.

Sandra Hoch, Flüchtlingsreferentin des Landesmusikrats NRW, organisierte die Tagung und betreute ihren Ablauf, unterstützt von Samantha Bockstegen und Nepomuk Adler. Als Robert von Zahn sie in seinem Schlusswort zur Tagung auf die Bühne bat, galt ihr ein langer und herzlicher Sonderapplaus aller Beteiligten.

rvz

Tagung „Nachhaltigkeit von Integration durch Musik“, Düsseldorf, 24. November 2018: Eine Veranstaltung des Landesmusikrats NRW in Kooperation mit der Johanneskirche, dem Kulturamt und dem Amt für Migration und Integration der Landeshauptstadt, dem FlüchtlingsRat NRW und der Diakonie Düsseldorf, gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW.

Fotos: Franco Clemens, Sule Yüksel Uslu-Fetic, Turgay Tahtabas und Julian Rybarski im Gespräch mit Yinka Kehinde (mitte) während der Tagung "Nachhaltige Integration" am 24. November 2018 in Düsseldorf; Zupforchester "Al Watan", geleitet von Thomas Horrion; Perihan Tosun, Muna Zubi, Yinka Kehinde, Tuncer Kalayci, Emil Hosh und Kai Yantiri; Vortrag von Hayat Chaoui; Begrüßung durch Reinhard Knoll; Fotos: LMR NRW