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Henzes "Gisela!" in der Ruhrtriennale

Uraufführung von „Gisela! – oder: Die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks“ mit dem Landesjugendensemble Studio musikFabrik.

Am 25. September erblickte „Gisela!“ in der Gladbecker Maschinenhalle das Licht der Welt. Die Premiere des Musiktheaterstücks von Hans Werner Henze, Christian Lehnert und Michael Kerstan war Teil der Ruhrtriennale. Die Sächsische Staatsoper Dresden und die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 hatten das Werk mit Unterstützung der Kunststiftung NRW in Auftrag gegeben.

Die Studentin Gisela (Hanna Herfurtner) reist mit ihrem Freund Hanspeter (Michael Dahmen) nach Neapel, um die Kultur der Stadt kennenzulernen, und offenbar auch, um ihrem bisherigen Leben etwas entgegensetzen zu können. Der zutiefst bürgerliche Hanspeter möchte sie heiraten, doch sie lernt den freigeistigen Stadtführer Gennaro (Fausto Reinhart) kennen und sie verliebt sich ihn. Dessen unsteter Lebensstil steht in scharfem Kontrast zur Oberhausener Solidität, die Gisela und Hanspeter geprägt hat. Hingegen weist sein Alter Ego des Pulcinella unmittelbar in den vergangenen Geist der commedia dell'arte.

Im Konflikt zwischen Hanspeter und Gennaro geraten zwei Kulturen aneinander. Der Konflikt wird nicht etwa integrativ, sondern mit den Fäusten auf einem Bahnsteig beendet: Gennaro gewinnt und erhält die Frau. Dass die Rechnung so einfach nicht ist, erfährt er, als Gisela und er nach Oberhausen reisen und er nun seinen Kulturschock im Schatten der Fördertürme erlebt. So wird das Happyend – den ein Vulkanausbruch überhöht – durch seine Ernüchterung relativiert.

Hans Werner Henze hat mit Unterstützung von Jobst Liebrecht (Berlin) und Gabriele Bonolis (Rom) eine Komposition vorgelegt, die den kulturellen Gegensatz in der Dreicksgeschichte zwischen Oberhausen und Neapel musikalisch ahnen lässt. Historisierende Rückgriffe auf die commedia dell'arte sind in umrahmende Partien herber deutscher Streichersinfonik gebettet, tänzerische und folkloristische anmutende Einlagen werden einer maschinenhaften Motorik gegenüber gestellt, und man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Instrumentalisten die motorischen Partien ganz besonders schätzten, die mit unerbittlicher Wucht die Maschinenhalle erfüllten.

Auf die Stärke von 44 Musikerinnen und Musikern ist das Jugendensemble angewachsen, das im Jahr 2006 als 15köpfiges Landesjugendensemble Neue Musik begonnen hat. Carl Rosman und Dirk Wietheger, beide Musiker der musikFabrik, hatten diesmal die Einstudierung der instrumentalen Partien übernommen. Die musikalische Gesamtleitung hatte Steven Sloane. Die Chöre, die Henze zurückhaltend und eher kommentierend anlegt, wurden vom Jugend-Kammerchor der Chorakademie Dortmund mit artifizieller Grazie gesungen. Die solistischen Sänger und Tänzer kamen überwiegend aus den Reihen der Folkwang Hochschule.

Inszenierung (Pierre Audi), Ausstattung und Kostüme (Christof Hetzer) brachten verschiedene Zeiten von den 1960er Jahren der „Gastarbeiter“ aus Italien bis hin zur Gegenwart der Mobilkommunikation und universellen Erreichbarkeit gleichzeitig auf die Bühne und in ein erstaunlich homogenes Miteinander. Oftmals mochte der Besucher in der Maschinenhalle einfach nur schauen und schauen.

Suggestive Traumsequenzen werden in Form von Filmen auf drei Leinwänden gezeigt und von barocker, in instrumentale Unwirklichkeit getauchte Akzidenzmusik untermalt. Ovationen für Interpreten, Regie und vor allem für den Komponisten Hans Werner Henze, der die Uraufführung seines Werks trotz seines hohen Alters besuchte.

Studio musikFabrik ist ein Jugendensemble für Neue Musik des Landesmusikrates NRW, das in Kooperation mit der musikFabrik geführt und vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport gefördert wird.

rvz                                                                                                           .

Fotos oben und unten: Gennaro (Fausto Reinhart) und Gisela (Hanna Herfurtner) auf dem Bahnsteig.

Mitte: Gisela schläft, auf der Leinwand ihr Traum. Maschinenhalle Gladbeck-Zweckel, September 2010.

© Ursula Kaufmann und Paul Leclaire.