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Ein Windgott und Carter Williams "Klangbörse" in der Kölner Musiknacht

Auch in diesem Jahr lud die Kölner Musiknacht wieder Kulturfreunde dazu ein, die Musik der professionellen freien Künstlerszene kennenzulernen. 300 Musiker spielten an einem Abend 60 Konzerte an zwanzig Orten. Mit der Demonstration der künstlerischen Qualität und Vielfalt verbinden sie auch die Botschaft, dass musikalischer Reichtum und ökonomische Realität in Köln auseinanderklaffen. Die Themen Raum und Geld seien nach wie vor virulent, führte das Sprecherteam des Initiativkreises Freie Musik, Barbara Schachtner, Hans-Martin Müller und Daniel Mennicken, aus.

Da eine Künstlerszene von dieser Qualität nicht von ungefähr entsteht, präsentierten sich diesmal auch Jugendprojekte. In den Kölnischen Kunstverein hielt "Der Gott des Windes" Einzug: Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Rodenkirchen und der Offenen Schule Köln ließen in einer Choreographie von André Jolles und Benedetta Reutter Luftzüge entstehen und Wirbelwinde durch das Publikum tanzen. Imaginäre Blätter trieben in den Bewegungen und Tänzen vorbei, Halme streckten sich vornüber und Bäume senkten ihre Kronen, angetrieben von den Saxofonklängen des "Forseti Quartetts".

Die jungen Tänzer nahmen dabei die Rhythmen von Dai Fujikoras musikalischer Dichtung "Reach out" und David Maslankas  "Mountainroad" auf. Auch spürten sie den geheimnisvollen Linien im "Albumblatt no. 2" des Bonner Komponisten Hans Thomalla nach. Ihre Lust an der Interpretation durch Bewegung teilte sich dem Publikum im voll besetzten Saal des Kunstvereins unmittelbar mit.

Im Vorfeld der Musiknacht hatten Schüler im Rahmen eines audiovisuelles Projekts einige Ensembles der 300 Musikerinnen und Musiker, die die Musiknacht gestalten, besucht. In Form von Kurzfilmen führten sie Interviews und nahmen Probenauschnitte auf. Teils kamen die Fragenden dabei selbst ins Bild, teils ließen nur die niedrigen Kameraperspektiven das Alter der Kameraleute erahnen. Beredte Portraits sind entstanden: Die Chansoniers des Ensembles "Schlagsaite" geben Auskunft über ihre Herkunft aus aller Herren Länder, die vier Blockflötistinnen des "Eliginia Quartetts" proben in den Fluren der Kölner Hochschule für Musik und Tanz, Carl Ludwig Hübsch gewährt schräge Perspektiven in seine vielgestaltige und mehrtrichtrige Tuba und sieben weitere Ensembles stellen sich vor. Live spielten im Kinosaal des Kunstvereins dann die Djoze- und Rebec-Virtuosen Bassem Hawar und Albrecht Maurer irakisch-westliche Crossover-Weisen. Für Technik und Schnitt der Filme hatte der Filmemacher Gerhard von Richthofen gesorgt, die Produktion lag in den Händen von Agnes Rottland.

In nahezu jeder Musiknacht erlebt ein Werk seine Uraufführung, welches ein Komponist eigens für die Akustik des prachtvollen Treppenhauses des Oberlandesgerichts am Reichensperger Platz komponiert oder eingerichtet hat. Seit 2005 sorgt das Projektensemble 05 in wechselnder Zusammensetzung für die Interpretationen. Albrecht Zummach und John McAlpine hoben es seinerzeit aus der Taufe. Diesmal führte es eine neue Komposition von Carter Williams auf. "Geh hin zur Ameise, du Fauler!" lautet der merkwürdige Titel der "Klangbörse" für Instrumente, Stimmen und Objekte, die das mäandernde und eilige Treiben auf einem Börsenparkett musikalisch darstellt.

Sieben Bläser, sieben Streicher und 19 Perkussionisten waren in den Balkons, Gängen und Nischen des Treppenhauses im Einsatz. Carter selbst organisierte an Partitur und Mischpult die Klänge und ließ den Gruppen Freiräume, die die Musiker nach generellen Vorgaben füllten. In jeder Gruppe gliederte ein Künstler die Zeitstrecken der Klänge, die sich in den Weiten des Baus verloren, aus Ecken reflektiert wurden und zwischen den Bögen der Balkone aufeinander geworfen wurden.

Hatten die Komponisten, die bislang für diese Architektur geschrieben hatten, gerne auf Liegeklänge, lange Pausen und gemächliche Verschiebungen von Akkorden gesetzt, so setzt Carter Williams eher auf schnelle Schlagfolgen kleiner Perkussionsinstrumente. So ergibt sich der Eindruck von hektisch agierenden Börsianern wie durch eine Programmmusik. Der Wechsel ins Singen, Rufen und ins Fortissimo beschwört zuletzt einen Börsen-Crash herauf. Zweimal gab das Ensemble die "Klangbörse" in der Musiknacht und sichtlich zufrieden nahm der Komponist auf der großen Haupttreppe den Beifall des wandelnden Publikums entgegen.

Die drei aus den 60 Veranstaltungen genannten Projekte wurden vom Landesmusikrat NRW aus Mitteln des Kulturministeriums NRW gefördert, die beiden Jugendprojekte auch von der RheinEnergie Stiftung, die Musicmovies zudem von einem Unternehmen der Immobilienbranche. Die Kölner Musiknacht ist eine Veranstaltung des IFM-Projekte-Vereins in Kooperation mit dem Kulturamt und der Stabsstelle Events der Stadt Köln, unterstützt von der KölnTourismus GmbH.

rvz

Fotos: Bassem Hawar am 17. September im Filmraum des Kölnischen Kunstvereins; "Der Gott des Windes" mit Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Rodenkirchen und der Offenen Schule Köln sowie dem "Forseti Quartett" im Kölnischen Kunstverein; "Klangbörse" von Carter Williams mit dem Projektensemble 05 am 17. September 2016 im Treppenhaus des Oberlandesgerichts Köln; Fotos: LMR NRW.