Navigation für Screenreader Zur Hauptnavigation springen | Zum Seiteninhalt springen | Zur Meta-Navigation springen | Zur Suche springen | Zur Fuß-Navigation springen

Ein Virus geht um. Es heißt „Kammermusik“.

Abschlusskonzert des Kurses „Junge Kammermusik“ in der LMAK in Heek

Vielleicht kennen Sie das aus eigener Erfahrung, aktuell oder von früher: Man ist auf Orchesterfreizeit, die Proben des Tages sind abgeschlossen, aber die Finger jucken immer noch. Mittlerweile ist es schon nach zehn abends, aber egal. Sie belagern einen Raum des Probengebäudes und fragen die anderen: „Wer hat Lust auf Kammermusik?“. Und dann geht das bis tief in die Nacht (oder bis der Hausmeister kommt): Große und kleine Werke für die gerade zusammengekommene Besetzung, vom kleinen Divertimento bis hinauf zu Brahms‘ Klavierquintett. Hierbei ist es Ihnen oft egal (und mir selbst war es das damals auch), ob da nun alles stimmt, ob die Intonation perfekt ist, ob alle Übergänge sofort passen. Nein, man spielt sich in einen Rausch, der sogar den Gang ins Bett ganz weit oder gar zu weit  nach hinten rücken lässt. An alldem ist natürlich das „Kammermusik-Virus“ schuld, das uns erfasst hat.

Genau darum geht es bei den „Einsteigerkursen“ des Kammermusikzentrums NRW, also z.B. beim Kurs „Junge Kammermusik“, der in den ersten Tagen dieses Jahres in Heek stattfand. Über dreißig junge Musikerinnen und Musiker von acht bis 21 Jahren waren gekommen, um sich gezielt infizieren zu lassen. Viele kamen nicht in geschlossener Formation, kamen ohne festes Arbeitsprogramm eines zu erarbeiteten Werks (etwa für den anstehenden Regionalwettbewerb „Jugend musiziert“), sondern einfach so: „Hier bin ich, ich spiele Cello, wo kann ich mitmachen?“

Dem  engagierten Dozententeam gelang es hervorragend, hieraus funktionierende Ensembles zu formen, und was gestern Nachmittag im Großen Saal des Landesmusikakademie im „internen Vorspiel“ zu hören war, war auf verschiedenste Art und Weise eindrucksvoll, immer aber spannend und fesselnd.

Das Konzert begann mit einem ad hoc in Heek zusammengestellten Oktett mit zwei Oben, zwei Klarinetten, Fagott, Kontrabass und zwei Hörnern, das unter dem Dirigat von André Sebald eine Harmoniemusik nach „Don Giovanni“ vortrug. Mit viel Leidenschaft und Schwung vorgetragen, der allemal die den Umständen geschuldeten kleinen Unzulänglichkeiten vergessen ließ.

So reihte sich dann Beitrag an Beitrag: Zwei ganz junge Pianistinnen aus dem Raum Düsseldorf, Nanako Mitsubori und Sachi Akutso, spielten einen Satz aus „Ma mère l’Oye“ von Ravel. Lim Tran, Lukas Nolte und Oliver Tadjbach trugen die Polonaise aus Haydns Klaviertrio Es-Dur vor. Alina Olschok, Sara Wieners, Marlene Boehm und Carl Heimig musizierten einen Satz aus Telemanns „Tafelmusik“ (besonders hervorzuheben der obligate Cellopart von Marlene Boehm).

Eher der Kategorie „Vorbereitung auf den Regionalwettbewerb“ zuzuordnen war der Auftritt von Mona Kuribayashi und Mai Kawasaki. Sie füllten in einem Satz aus Rachmaninoffs zweiter Suite mit dem Klang der beiden Konzertflügel den ganzen Raum, spielten mit brillanter Leichtigkeit und festem Zugriff.

Dann kam der Vortrag von Sophie Selter, Moritz Kokalj, Leo und Carl Heimig und Sina Kleinleder. Ein leises Raunen ging durch den Saal, als die Jugendlichen, wie übrigens alle anderen auch, das Vortragswerk selbst ankündigten: Das Allegro con fuoco aus dem Streichquintett von Anton Dvorak! Und da war es wieder, das Gefühl, das ich von früher kannte. Bilder taten sich auf von Jugendherbergen und eigentlich geschlossenen Hotelbars, oft spät in der Nacht. Das Kammermusik-Virus breitet sich aus und durchdringt den Körper. Klar, der Vortrag war nicht perfekt (konnte, musste er auch nicht sein, es war ja auch nur ein „internes“ Vorspiel), aber das wäre er wahrscheinlich auch nicht gewesen, hätten fünf professionelle Musiker den schwierigen Satz ad hoc gespielt. Was aber in die Herzen der Zuhörer drang, war dieser Wille, das zu schaffen, und das nötigte allen große Hochachtung ab.

Eine kleine Schrecksekunde zuckte auf in den Augen von Akademieleiterin Antje Valentin, als Maja Gieseking, Cellistin im Trio mit Tobias Plöger und Constantin Vatvaras, das Gefummel mit den Cellobrettchen leid war und die Spitze ihres Cellostachels herzhaft in eine Ritze des Holzbodens stieß. Und so war dann auch die Musik: Zwei Tangos von Angel Villoldo und von Miroslaw Gasieniec, beschwingt und voll jugendlichen Selbstbewusstseins vorgetragen.

Und so könnte man nun weiter berichten von vielen weiteren engagierten Kammermusikbeiträgen, aber viel lieber lade ich ein, einen der kommenden „freien“ Kurse des Klammermusikzentrums selbst zu besuchen, vielleicht auch selbst mitzumachen oder die Kinder dazu zu animieren. Ansteckend wird das Virus auch dann sein, soviel ist sicher.

(Michael Bender)

Foto: Mozart – André Sebald dirigiert eine Harmoniemusik zu "Don Giovanni" (v.l.n.r.): Katharina Althen, Sophie Stein (verdeckt), Maria Schönnenbeck, Charlotte Anders, Evi Müller,  Marius Fischer, Clarissa Schmidt, Charlotte Strauch. Foto: LMR NRW.