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Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung? Ein Diskurs um Anspruch, Utopie und Wirklichkeit in der Akademie Remscheid

Mit dem Thema „Anspruch und Wirklichkeit: Diversitätsbewusstsein in der Kulturellen Bildung“ beschäftigte sich am 8. Dezember eine Konferenz in Remscheid. Veranstalter war der Qualitätsverbund „Kultur macht stark“.

Die Diversitätsfrage wurde dabei vor allem aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte diskutiert. Dass Kooperationen mit Migrantenorganisationen geprägt sein sollten vom Interesse am Anderen und nicht am Eigenen, machte Martin Gerlach, Bundesgeschäftsführer der Türkischen Gemeinde in Deutschland, in seinem Vortrag deutlich. Im Vordergrund sollte immer die Entwicklung der gemeinsamen Projektziele und -inhalte stehen.

Auch Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan von der Universität Duisburg-Essen und Mitglied im Rat für Migration verwies darauf, dass die individuelle Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationsgeschichte im pädagogischen Kontext zu wenig in den Blick genommen wird und dadurch ihre Potenziale oftmals nicht erkannt werden. Bei einer angenommenen Hochbegabung von 2 bis 3 % erhalten im Verhältnis viel zu wenige Kinder mit Migrationshintergrund eine Empfehlung für das Gymnasium – nicht unbedingt aus bösem Willen, sondern aus Sicht der Lehrkräfte auch zu deren „Schutz“, weil ihnen möglicherweise das unterstützende Umfeld fehlt. Gleiches gilt aber auch für Kinder ohne Migrationshintergrund, die nicht aus Akademikerhaushalten stammen.

Prof. Dr. Susanne Keuchel, die Direktorin der Akademie Remscheid stellte die Ergebnisse des Interkultur-Barometers (2012) vor und belegte Unterschiede in der kulturellen Teilhabe in Abhängigkeit der ästhetischen Erfahrungen. Ein besonderes kulturelles Interesse zeige dabei die 3. Generation von Zuwanderern an der Kultur ihrer jeweiligen Herkunftsländer. Möglicherweise liegt das an dem Gefühl, weder richtig zum Herkunfts- noch zur Aufnahmeland zu gehören und an dem Wunsch, mehr über die eigenen Wurzeln zu erfahren. – Wenn man diesem Gedankengang folgt, würde gerade auch das in letzter Zeit verstärkte Engagement im Musikbereich, institutionell verankerte Ausbildungsmöglichkeiten für das Spiel auf der türkischen Langhalslaute Bağlama zu schaffen, in die richtige Richtung weisen.

Um die Lücken in der bisherigen kulturpädagogischen Aus- und Fortbildung zu schließen – oder zumindest für diese zu sensibilisieren –, konzipiert die Akademie Remscheid derzeit eine Weiterbildung „Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“ im Rahmen des BMBF-Förderprogramms „Förderung von Entwicklungs- und Erprobungsvorhaben zur pädagogischen Weiterbildung von Kunst- und Kulturschaffenden“. Die Fortbildung soll gemeinsam mit der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entwickelt und evaluiert werden.

Workshops am Nachmittag griffen verschiedene Themen und Aspekte auf: die Arbeit mit homogenen und heterogenen Gruppen, Techniken für professionelles diversitätsbewusstes Handeln und wie man sich vor der Gefahr von Exotisierung und der einseitigen Ausrichtung an einen angloamerikanisch-europäischen Kulturkanon schützen kann. Dies zielte auf die Frage: Wie könnten transkulturelle Bildungspraktiken aussehen?

In der Schlussdebatte stellte Moderator Dr. Chadi Bahouth die Ausgangsfrage „Wie diversitätsbewusst ist die Kulturelle Bildung wirklich?“ in den Mittelpunkt. Der Präsident des Deutschen Kulturrates, Prof. Christian Höppner, gab sich selbstkritisch und betonte, dass die Angebote Kultureller Bildung noch nicht die vielfältigen Potenziale unserer Gesellschaft widerspiegeln. Er forderte ein offensiveres kultur- und bildungspolitisches Engagement vor allem in der Aus- und Weiterbildung.

Yasemin Önel vom Türkischen Bund NRW warnte davor, in einen Verteilungskampf von Fördermitteln zu treten. Vielmehr müsse der Politik klargemacht werden, dass sie in einer größeren Breite investieren müsse. Sie warb dafür, das Engagement der Migrantenorganisationen, das in der Regel nur ehrenamtlich und dadurch in seinen zeitlichen und finanziellen Ressourcen beschränkt sei, anzuerkennen und zu versuchen, auf Augenhöhe zu kommunizieren –  indem man Projekte beispielsweise gemeinsam entwickelt und nicht nur den bloßen Kontakt zu einer „Zielgruppe“ sucht. Es gehe darum, Know-How zum Beispiel in der Antragsstellung weiterzugeben und einem kleinen Kulturverein vielleicht auch eine zweite Chance zu geben, wenn ein Vorhaben gescheitert sein sollte.

Peter Kamp von der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung sprach sich für eine größere Nachhaltigkeit der kulturellen Bildung aus. Kulturelle Bildung bedürfe nicht nur einer Projektförderung, sondern auch struktureller Förderung.

Mehmet Ungan, von Haus aus eigentlich Soziologe, erzählte von der Gründung der Orientalischen Musikakademie in Mannheim 2008 und berichtete, dass orientalische Musik nun auch in die Lehramtsausbildung an der Musikhochschule Mannheim Eingang finden soll. Dies sehe er als Fortschritt und Anlass zur Freude. Auch solle man Projekte nicht gering schätzen, sie seien kleine Schritte auf einem Weg und in einer bestimmten Phase wichtig.

Niklas Büdenbender vom Arbeitskreis Musik in der Jugend und seines Zeichens Musikpsychologe verwies darauf, dass es bei Kindern noch eine große Offenheit gegenüber der Musik anderer Kulturen gebe, die mit zunehmendem Alter abnehme – je höher der Bildungsgrad, desto früher übrigens.

(Heike Stumpf)

Der Qualitätsverbund „Kultur macht stark“ ist ein Verbundprojekt der Akademie Remscheid für Kulturelle Bildung und der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Er leistet die fachpädagogische Begleitung des bundesweiten Förderprogramms „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“. Mit diesem Programm fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) außerschulische Angebote der Kulturellen Bildung für bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche. Der Qualitätsverbund gestaltet Workshops und Konferenzen zu fachlichen Themen und Fragestellungen und richtet sich an Fachkräfte und Multiplikatoren/-innen der Kulturellen Bildung und der Jugendarbeit.

Foto: Abschlusspodium der Konferenz „Anspruch und Wirklichkeit: Diversitätsbewusstsein in der Kulturellen Bildung“ am 8. Dezember in Remscheid (v.l.n.r.): Prof. Christian Höppner, Yasemin Önel, Dr. Chadi Bahouth, Peter Kamps, Niklas Büdenbender, Mehmet Ungan. Foto: Akademie Remscheid