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Das Beethoven-Haus während des Nationalsozialismus

Das Beethoven-Haus Bonn, die Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte und das Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn veranstalteten am 17. Juni einen Roundtable zum Thema „Das Bonner Beethoven-Haus 1933-1945. Eine rheinische Kulturinstitution im ‘Dritten Reich’“. Es diskutierten Christine Siegert (Beethoven-Haus Bonn), Patrick Bormann (Universität Bonn), Joachim Scholtyseck (Universität Bonn) und Norbert Jers (Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte), moderiert von Yvonne Wasserloos.

Das Beethoven-Haus hat die Spielräume im Nationalsozialismus nicht genutzt, um Distanz zum Regime aufzubauen, so formulierte es der Historiker Patrick Bormann, vielmehr hat es aktiv mit dem Regime zusammengearbeitet. Es kooperierte sogar dann in Eigeninitiative, wenn es keineswegs notwendig war.

Patrick Bormann durchforstete drei Jahre lang die Quellen und verfasste eine institutionengeschichtliche Studie, die das Haus am 17. Juni im Kammermusiksaal vorstellte. Das Beethoven-Haus hat die Aufarbeitung dieser Geschichte lange hinaus geschoben, so stellte Malte Boecker, Direktor des Hauses, in seiner Introduktion fest. Umso erfreulicher, dass die fundierte Arbeit jetzt vorliegt. Joachim Scholtyseck, der Bormanns Arbeit an der Universität Bonn betreute, betonte, dass die Bonner Gedenkstätte das Unternehmen ohne einen veranlassenden Skandal anging.

Nach der „Machtergreifung“ 1933 blieb das Beethoven-Haus in der Personalpolitik weitgehend autonom. Es gab keinen Wechsel im Vorstand, in dem auch keine Personen jüdischen Glaubens arbeiteten. Vorsitzender war der in Bonn wirkende Musikwissenschaftler Ludwig Schiedermair, ein nationalistisch ausgerichteter Mann, der eng mit dem Regime kooperierte. Natürliche Veränderungen im Vorstand führten zum Einzug von Nationalsozialisten, so des Musikwissenschaftlers Hermann Unger aus Köln und des Bonner Oberbürgermeisters Ludwig Rickert. Antisemitismus zeigte sich bei Vorstandsdiskussionen von Neubesetzungen. Ab 1934 konstatiert Bormann eine Distanzierung des Vorstands von jüdischen Vereinsmitgliedern, und ab 1936 hat der Verein gar keine jüdischen Mitglieder mehr. Ein Arierparagraf wurde in die Satzung eingeführt. Das erste Kammermusikfest des Hauses während der NS-Zeit, 1934, lud keine jüdischen Musiker mehr ein.

Zur Frage einer Beteiligung am NS-Kunstraub führte Bormann aus, dass es eine Bereitschaft Schiedermairs gab mitzuarbeiten, die allerdings erfolglos blieb. Aufgefordert, Besitzer von Beethoven-Originalen in Frankreich zu benennen, listete er gleich auch Besitzer in Belgien und Holland auf und ergänzte, man möge doch das Beethoven-Haus nach der Requirierung berücksichtigen.

Sind das nun überraschende Ergebnisse? Nicht für Joachim Scholtyseck: Opportunismus und Mitmachen bildeten in den 1930er Jahren die Norm von Vereinen, Verbänden und Unternehmen in Deutschland. Die Ergebnisse seien deshalb nicht spektakulär, sondern traurige Normalität.

Norbert Jers war doch überrascht und zwar von dem Bild Schiedermairs, das die Studie entwirft. Jers hat selbst über die wissenschaftlichen Publikationen Schiedermairs gearbeitet und sieht dort ein Wertespektrum, das mit dem institutionengeschichtlichen Ergebnis Bormanns nicht deckungsgleich ist: Reibungslose Kooperation mit den Nationalsozialisten auf dem Gebiet der Institution, auf dem Gebiet der reinen Wissenschaft hingegen eher ein Bewahren von Freiräumen. Im Vergleich zu anderen Musikwissenschaftlern der Zeit erscheint Schiedermair in seinen Schriften eher als sanfter Zeitgenosse, so Jers.

Christine Siegert widersprach: Das musikwissenschaftliche Handeln Schiedermairs müsse in einem Folgeprojekt noch detailliert durchleuchtet werden, es zeige sich aber schon jetzt, dass er sein Publizieren dem Regime angepasst habe, ja der „Machtergreifung“ schon tendenziell vorausgegangen war. Schon vor 1933 traf er antisemitische Aussagen und bewies eine nationalistische Prägung. Siegert und Wasserloos sahen bei Schiedermair und vielen Wissenschaftlern der Zeit die Überzeugung, dass die Weimarer Republik die Grundlagen des eigenen Tuns zu Grabe trage. Daraus entstanden viele Kooperationen mit den NS-Machthabern. Schiedermairs Mitarbeiterführung war zudem autoritär, er verankerte das Führerprinzip im Beethoven-Haus.

Mit dieser Feststellung verengte sich die Diskussion des Panels weitgehend auf die Rolle Schiedermairs als Leiter des Beethoven-Hauses. Bormann relativierte das Bild etwas: Zwar führte das Haus 1934 das Führerprinzip ein, doch Schiedermair war schon 1933 als Ordinarius des Bonner Musikwissenschaftlichen Instituts die unbestrittene Leitfigur. Er war nicht der typische NS Musikwissenschaftler, denn er war 1933 in der Musikwissenschaft schon fest etabliert. Deshalb, so Bormann, findet man bei ihm nicht das "Radauhafte" von jüngeren Musikwissenschaftlern der Zeit, eher den Ehrbegriff des Kaiserreichs. Schiedermairs politische Überzeugungen waren aber NS-affin. Zeitgleich zur groß angelegten und gegen Frankreich gerichteten Jubelfeier der angeblichen 1000-jährigen Zugehörigkeit des Rheinlands zu Deutschland beschwor 1925 dessen Publikation "Der junge Beethoven" das Bild einer Blutszugehörigkeit des Komponisten zum deutschen Volk - ein Bild, das für die Nationalsozialisten anschlussfähig war.

Aus dem Publikum wies Christoph Großpietsch, Stiftung Mozarteum Salzburg, auf die problematische Ämterhäufung Schiedermairs hin. Er wurde weitergereicht von Position zu Position. Bormann bestätigte, dass Schiedermair ein talentierter Wissenschaftsorganisator war, sich aber arbeitsmäßig übernahm. In der NS-Zeit erschien entsprechend auch keine große Monografie seiner Hand, erst wieder in der Nachkriegszeit.

Schiedermair war es auch, der 1933 maßgeblich die Gründung der Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte betrieb. In der Nachkriegszeit zog die Arbeitsgemeinschaft nach Köln zum dortigen Ordinarius Karl Gustav Fellerer um, was die Frage aufwirft, wie die beiden Wissenschaftlicher zueinander standen. Jers und Bormann stellten fest, dass die beiden offenbar kaum Beziehung zueinander hatten. Allerdings ehrte die Arbeitsgemeinschaft Schiedermair noch, als es in Bonn keiner mehr tun wollte. Auch die Gesellschaft für Musikforschung unter Friedrich Blume ernannte Schiedermair zum Ehrenmitglied - in vieler Hinsicht steht dieser für eine Kontinuität über 1945 hinweg. Scholtyseck sieht das Phänomen, dass sich erst die nächste und übernächste Generation kritisch mit Regime-Kollaboration auseinandersetzt, als typisch für alle Gesellschaften an.

Christine Siegert möchte die von Bormann erschlossenen Quellen allen zugänglich machen und freut sich, wenn noch andere Aspekte des Gesamtthemas untersucht werden. Malte Boecker wies in seinem Schlusswort darauf hin, dass er vergeblich gehofft hatte, die Publikation Bormanns würde etwas von dem Freiheitsgeist, mit dem viele Beethovens Musik verbinden, auch im Beethoven-Haus zwischen 1933 und 1945 ausmachen. Widerständigkeit, ergänzte Scholtyseck, kann aber auch außerhalb des Hauses in der Beethoven-Auseinandersetzung jener Zeit kaum gefunden werden. Widerstand, so der Historiker, sei stets ein absolutes Minderheitsphänomen, warum sollte das in der Musikwissenschaft anders sein?

Robert v. Zahn

Literatur: Patrick Bormann: Das Bonner Beethoven-Haus 1933–1945. Eine Kulturinstitution im „Dritten Reich“ (Schriften zur Beethoven-Forschung, Bd. 27), Bonn: Verlag Beethoven-Haus, 2016.

Foto: Im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses diskutieren am 17. Juni 2016 Christine Siegert (Beethoven-Haus Bonn), Patrick Bormann (Universität Bonn), Joachim Scholtyseck (Universität Bonn) und Norbert Jers (Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte), moderiert von Yvonne Wasserloos. Foto: LMR NRW