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Alter(n) in der populären Musik

Internationale Tagung in Remscheid

Der Arbeitskreis Studium populärer Musik, der Landesmusikrat NRW und die Musikhochschule Köln luden zur Tagung über Alter und Altern in der populären Musik in die Akademie Remscheid ein. Vom 31. Oktober bis zum 2. November beschäftigten sich zwanzig Referenten mit den Phänomenen, die die Zeit in eine Musik bringt, die stets als jung empfunden und deren Hörer als jung angenommen wird.

In seiner Begrüßung zeigte Werner Lohmann, Präsident des Landesmusikrats NRW, auf, wie aktuell die Fragestellungen sind und wie auch Landespolitiker die Fragen innerhalb des Gesamtkomplexes "Kultur und Alter" auf die Tagesordnung setzen. Thomas Phleps machte seitens des ASPM in seinem Grußwort sarkastisch Stereotypen über die "17-Jährigen" in der Welt der Schlagertexte aus und hinterfragte die Zeitlosigkeit dieser Musik.

In zwei Räumen der Akademie entwickelten dann die Referenten ihre Thesen und ihre Fragestellungen. Durch die Zweigleisigkeit war es nicht möglich, alle Referate zu hören. Das vollständige Bild blieb zumal dem verwehrt, der die Tagung vorzeitig verließ. Gleichwohl einige Eindrücke aus Referaten, Musikprogramm und Diskussionen.

In Deutschland ist eine Akzeptanz alter Musiker, die der brasilianischen oder kubanischen vergleichbar wäre, in der Welt von Pop und Rock nicht zu beobachten. Zwar füllen auch hierzulande internationale Rockmythen wie die Stones mühelos Hallen und Stadien, doch ansonsten herrscht zumindest in der kommerzialisierten Musikwelt nach wie vor der Jugendkult " zumindest in der zweiten Garde der Bands. Auf der anderen Seite gibt es viele Bands, die aus älteren Musikern bestehen und Cover-Versionen älterer Rocktitel spielen, die in den Musikmedien keinen Platz finden, gleichwohl aber regelmäßig ein Publikum finden, um dessen Größe sie mancher Kunstmusiker beneidet. Diese Bands halten zumeist eine Rockmusik lebendig, die in den späten 1960er und den 1970er Jahren aktuell war. Das Publikum altert überwiegend mit den Musikern und ihrer Musik, ist aber in der Alterstruktur doch heterogener als das so manchen Jazzkonzerts.

Im musikalischen Programm des Symposions trat die Band "Cadillac Music Co." aus Münster auf und sie stand dem Publikum auch Frage und Antwort. Die Band um Walter Lindenbaum und Stephan Siebenkotten-Dahlhoff besteht aus sechs Musikern, von denen fünf deutlich über 50 Jahre alt sind. Sie covern Rockstücke der späten fünfziger bis späten siebziger Jahre. Beatles, Stones und The Who erstehen in nachgestalteten Versionen, in der Instrumentation überwiegend authentisch, in der musikalischen Aussage oft lockerer " entspannter, wie Volkmar Kramarz es bezeichnete. Kramarz lud Lindenbaum und Stephan Siebenkotten-Dahlhoff in der Konzertpause zum Podiumsgespräch:

Die Musiker, die sich um Publikum nicht sorgen müssen, erheben nicht den Anspruch, mit ihren Cover-Versionen auch politische Aussagen, Stimmungen, gesellschaftliche Kritik und Zeitumstände aus der Vergangenheit zu transportieren. Das lud zu einer Reihe von kritischen Fragen von Kramarz und von Konzertgästen ein " "wollt ihr dieses Gepäck jetzt immer weiter tragen bis ins Altersheim"" -, doch letztlich ließen sich die Cadillacs nicht festnageln.

Die Sozialisation des Menschen muss immer im Blickwinkel bleiben, will man Wirkungsmechanismen zwischen Musik, Musikgeschmack und Altern untersuchen " das war für eine Reihe von Referaten Grundvoraussetzung. Merle Mulder aus Hamburg stellte hierzu ihre Diplomarbeit vor ("We got that attitude. Das Phänomen Straight Edge und die Eignung von Lebensstilkonzepten zu seiner Analyse") und Oliver Kautny aus Wuppertal zeigte ihre Bedeutung anhand einer ausschließlich als jung assoziierten Szene, der des Hiphop.

Wie gewinnen wir unseren Musikgeschmack und wie verändert er sich während des Alterns" Welche Alterstrukturen haben die Hörerschaften der verschiedenen Musikrichtungen" Hörertypen und Geschmacksfelder sind als Forschungsfelder schon oft bearbeitet worden. Auch Referenten der Tagung "Alter(n) in der populären Musik" setzten sich mit diesen Themen auseinander. So unterschied Nicola Smith aus Leeds (UK) ("Time Will Pass You By: The Performance of Youth by the Ageing Northern Soul Fan") Typen von Teilhabern am Musikleben des Soul, um zu einer systematischen Höreranalyse zu kommen. Wieviel bewusste Entscheidung bleibt dem Menschen in der Ausrichtung seines Geschmacks und in der Festlegung seines Verhältnisses zum Musikleben"

Stefanie Reim aus Ludwigsburg ("Mit dem musikalischen Rucksack durchs Leben. Musikgeschmack und Musikrezeption im Lebenslauf") kritisiert sie alle. Die Befragungen sind ihr nicht differenziert genug, weshalb sie eine eigene Untersuchung vorbereitet. Zuständig für den musikalischen Geschmack sind die Erfahrungen, die man in Kindheit und Jugend erwirbt " und diese nicht immer freiwillig. Jeder trägt einen Rucksack voller Erfahrungen mit sich herum, den er überwiegend nicht selbst gefüllt hat. Wer aber sorgte dafür" Reim unterscheidet drei Typen von Akteuren: 1. Filter bzw. Gatekeeper, dabei vor allem die Musikindustrie und Instanzen musikalischer Sozialisation (Eltern). 2. Die eigenen Zugehörigkeitswünsche und der Lebensstil. Und 3. wirken zahlreiche kontextspezifische Zuschreibungen an Musik ein.

Der Grad der Freiwilligkeit beim Inhalt dieses Rucksacks ist bei den Tagungsteilnehmern umstritten. Stefanie Reim geht von der Möglichkeit aus, dass man seinen Rucksack in jeder Altersphase auch umpacken kann, eine gewisse geistige Offenheit vorausgesetzt. Thomas Phleps hingegen sprach sich entschieden dafür aus, dass dieser Rucksack in der Kindheit gepackt wird und dann nicht mehr verändert werden kann. Ihm selbst sind Schlagertexte hinein gegeben worden, die er nie mehr los wird. Obgleich er sie hasst, sind sie in ihm " bis ins Alter.

Die meisten Referenten, die sich mit der Sozialisation beschäftigen, vertraten in der Diskussion den Standpunkt, dass die in der Kindheit getroffene Disposition kaum zu verändern ist. Um die vielen Vermittlungsinitiativen zu "Kultur und Alter", die, von kulturpolitischem Rückenwind getragen, konzipiert und auch schon umgesetzt werden, konnte einem Angst und Bange werden.

Robert v. Zahn

<link fileadmin user_upload stumpf altern_in_der_rockmusik.pdf _blank>Ausführlicher Bericht (PDF-Datei, 19 KB) ...

Foto: Cadillac Music Co. in der Tagung "Altern(n) in der populären Musik", Remscheid 31.10.08.
Walter Lindenbaum, Keyboarder und Sänger der Cadillacs und Präsidiumsmitglied des Landesmusikrats NRW, als Pinball Wizzard.
Fotos: Landesmusikrat NRW