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Am 30. November 2012 luden der Landesmusikrat NRW und die Landesmusikakademie NRW zur Fachtagung „Musik und Alter“ in die Landesmusikakademie nach Heek. Prof. Dr. Werner Lohmann, Präsident des Landesmusikrats NRW, gab eingangs einen Überblick über die Aktivitäten, die der Landesmusikrat in seinem Themenschwerpunkt „Musik und Alter“ seit 2010 entwickelt hat. Reinhard Knoll und Antje Valentin legten seitens der Landesmusikakademie dar, in welche Richtung das Themengebiet weiter entwickelt werden kann.

Prof. Marianne Steffen-Wittek (Hochschule für Musik Weimar) referierte über die „unerträgliche Leichtigkeit, Musik im Alter zu genießen“. Anknüpfend an Kunderas Protagonistin Teresa, die mit den Widersprüchen des freien Westens hadert, führte Steffen-Wittek in die Parameter musikkulturellen Handels für Ältere ein. Sie pläderte zumal für einen Fokus auf Körper und Bewegung. Erspüren, Wahrnehmen, Handeln müsse im Vordergrund stehen.
Ziel der Pädagoginnen und Pädagogen muss sein, bei den Älteren ein Gespür für den eigenen Körperschwerpunkt, für den Umgang mit der Schwerkraft, für die Atmung etc. zu entwickeln. Die Bewegungssteuerung ist zu mobilisieren, Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit und mehr können auch im Alter zunehmen. Besonders setzte sie sich für den Einsatz populärer Musik im Umgang mit älteren Menschen ein. Nicht immer ist diese so geartet, dass sie die Menschen in einer bestimmten Lebensphase „abholen“ kann, doch generell kommt ihre Rhythmik dem Körpergefühl Älterer entgegen. Oft teilt diese Musik ein energetisches Potenzial mit, das ältere Menschen auskosten können.

Eine Reihe von Projektvorstellungen führte in unterschiedliche Aspekte der musikalischen Praxis mit älteren Menschen ein. Alexandra Naumann stellte die Arbeit ihres Experimentalchors Alte Stimmen vor. Das von der Holtzbrinck-Stiftung finanzierte Projekt führte ältere Menschen zu einem Chor zusammen, der originelle Stücke singt, die einerseits altersgemäß sind, andererseits durch ihre unkonventionelle Struktur auffallen. Bernhard Koenigs „Nachrichten“ lösten beim Tagungspublikum Begeisterung aus.

Karin Teune referierte über das Seniorenzupforchester NRW „Altra volta“. Der Bund deutscher Zupfmusiker NRW rief dieses Orchester 2010 eigens für Seniorenspieler der Gitarre, der Mandoline und des Kontrabasses ins Leben. „Noch einmal“ bedeutet der Titel wie ein Motto für die 65- bis 83-jährigen Mitspieler, die sich 2013 auch auf ein internationales Festival in Bad Kissingen wagen werden.

Ursula Christopeit-Mäckmann betreibt das Projekt „Klang-Räume Bochum“ für Menschen vom Kindergartenalter bis zum Alter von 104. Die Stiftung Wohlfahrtsleben finanzierte Instrumente, die spielerisch neue Zugangswege zu sinnlichen und musikalischen Erfahrungen vermitteln können.  Über fünfzig Kindergärten, viele davon integrativ, Schulen und Alteneinrichtungen besuchten die „Klang-Räume“ bislang. Fortbildungen und Schulungen vermitteln den Umgang mit solchen Räumen an Pädagoginnen und Pädagogen.

Dr. Karin Brandl leitet die „Bad Godesberger Stadtstreicher“, zwei Streicherkreise der Musikschule Bonn für Wiedereinsteiger zwischen 40 und 75 Jahren. Das Spiel in der ersten Lage muss jeder beherrschen. Die Ensembles spielen Stücke von der Renaissance bis zur Klassik, bayerische Volksmusik und Arrangements von Ragtimes Scott Joplins für fünf Stimmen.

Volker Buchloh führte in das Programm „Sing mit, bleib fit!" ein, das der ChorVerband NRW in Kooperation mit dem Landesmusikrat NRW durchführt. Bernhard Große-Coosmann, Ahnvater des Programms, verfolgte die Präsentation aufmerksam. Das Programm bringt ältere Menschen über das Singen zusammen. Nicht ein Konzert, sondern das gemeinsame Singen steht im Vordergrund. Das Repertoire knüpft an das Prägungsalter zwischen 15 und 20 Jahren der Teilnehmer an. Seit 2005 sind in NRW bereits über einhundert Chöre mit älteren Menschen neu gegründet worden. Das Programm bietet deren Leiterinnen und Leitern Qualifizierungsmaßnahmen an.

Barbara Keller berichtete über das Projekt „Musik auf Rädern“ in Münster, das aus einer Diplomarbeit heraus entstand. Mit Musiktherapie ist eine Seelenpflege möglich, deshalb bringen die Mitarbeiterinnen die Musik ins Haus, in Kliniken und Heime. Es entstehen Modulkonzepte für verschiedene Zielgruppen mit bestimmten Schwächen oder Krankheiten. Ambulante Musiktherapie kann, so Keller, erfolgreich stabilisieren, emotionalisieren und Erinnerungen wecken.

Die Münsteraner Musiktherapeutin Marlis Marchand widmet sich dem Singen mit dementiell veränderten Menschen. Je zehn bis 16 Teilnehmende sind in einer ihrer Musikgruppen. Wichtig ist die Gruppenbildung, weil das Nachlassen von selbständigem Denken und von Erinnerungsvermögen oft soziale Vereinsamung verursacht, der man mit Vertrautem begegnen muss. Marchands Botschaft an dementiell veränderte Menschen lautet: Man braucht sich an nichts zu erinnern, man lernt hier Neues. Das nimmt ihnen die Verunsicherung. Neu geschriebene Lieder sind wertvoll, sie holen die Menschen zwar nicht in alten Erinnerungen ab, schaffen aber eine neue Vertrautheit, die in der folgenden Stunde beim ersten Klang sofort entsteht. Leichte eingängige Melodien mit leichten Texten sind dafür notwendig, Ritualisierungen hilfreich.

Dieter Leibold ist Seelsorgebereichsmusiker in der Pfarrei St. Suitbertus in Remscheid und Fortbildungsdozent an der Fachhochschule Münster für das Singen mit Senioren. Er berichtete über die Seniorenkantorei der Pfarrei St. Suitbertus in Remscheid. Ein Seniorenchor braucht ein spezielles Repertoire, das gut singbar ist, aber auch ansprechen kann. Viele Chöre, die über die Jahrzehnte hinweg altern und ihr Repertoire dabei nicht verändern, leiden unter Mitgliederverlust. Der Chorleiter eines Seniorenchores muss das berücksichtigen, er braucht zudem ein gesteigertes soziales Gefühl.

Die Musikpädagogin Hilde Kuhlmann erläuterte die Arbeit des TanzChors 60+ der Bergischen Musikschule Wuppertal, den sie zusammen mit dem Tänzer Milton Camilo leitet. Seit 2011 erarbeitet sie mit älteren Menschen erfolgreich Choreografien, in denen sich diese individuell über die Bewegung artikulieren können.

Am Nachmittag des Tages bezogen fünf Themenforen alle Tagungsbesucher direkt ein: Im Konzertsaal der Akademie probte Marlis Marchand Lieder ihres Konzepts zur Gruppenarbeit und stellte Spielmodelle des Improvisierens im Altenheim vor. Sie begleitete die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Gitarre bei gemeinsamen Liedern wie dem „Morgengruß“, die zur Gliederung und Ritualisierung des Tagesablaufs beitragen. In der Mitte des Saals lag eine Auswahl von Perkussionsinstrumenten, die die Besucher von Stück zu Stück hinzuzogen. Wichtig ist es, so Marchand, beim Singen zu beobachten, wie die Singenden reagieren, und sich anzupassen. Was ist, wenn ich keine Gitarre und keinen Begleiter habe, fragte eine Teilnehmerin? Es geht auch unbegleitet, man kann dafür vermehrt mit Gesten arbeiten, veranschaulichte Marchand.

Monika Mayr und Marianne Wittek lehrten Übungen zu Musik und Bewegung mit alten Menschen. Auch hier war die Gitarre allgegenwärtig, der Bewegungsanteil intensiver. „Bitte nennt sie in Heim ‚Bewohnerinnen und Bewohner‘, nicht ‚Senioren‘“, mahnte Monika Mayr. Das eigentliche Thema des Forums war die Wahrnehmung. Ein kleiner blauer Sack machte die Runde. Was mochte darin sein? Man fühlte und riet. „Nüsse“, meint Werner Rizzi trocken. „Ach, diese hochbegabten Bewohner“, murrte Monika Mayr. Eine Walnuss wurde entnommen, alle deklamierten „Wal-nuss“ und klatschen.

Prof. Hans Hermann Wickel referierte und diskutierte in seinem Forum über „Weiterbildung zum Thema Musik/Musizieren im Alter“. Er präsentierte das Ergebnis einer Studie, das überrascht: Je älter die Menschen werden, desto lieber sind ihnen homogene Gruppenkonstellationen. „Kein Gewusel“, erläuterte Wickel, was bedeutet, dass die oft propagierte Methode von generationenübergreifenden Projekten vorsichtig gehandhabt werden muss. „Wir brauchen,“ so Wickel, „eine eigene Disziplin Musikgeragogik, um die gerontologischen Aspekte in die Didaktik zu implementieren.“

Susanne Filler ist für generationenübergreifende Arbeit. Sie stellte die Erfahrungen aus einem dreieinhalbjährigen Projekt in Ennepetal mit älteren Menschen und Grundschulkindern vor. Sie fährt von der Musikschule mit Grundschulkindern und Chorkindern in eine Alteneinrichtung und erhält dort eine Pflegekraft als Begleitung. Dann singen und spielen sie im Heim, wobei die Verhaltensänderungen besonders bei den Pubertierenden auffällig sind. Der Umgang wird freundlicher, angemessener. Manchmal folgen diesen Einsätzen sogar Schülerpraktika in den Heimen.

Gabriele Paqué führte in den Instrumentalunterricht für Senioren und Seniorinnen ein. Als Betreiberin einer Klavierschule für Erwachsene in Bonn kennt sie das Problem, passende pädagogische Ausgaben zu finden. Es war auch das Problem, das aus dem Teilnehmerkreis ihres Forums am häufigsten angesprochen wurde. Hanna Krieger vom DTKV hinterfragte auch den Leistungsanspruch, den man noch bei Jugendlichen stellt, der aber bei erwachsenen Schülerinnen und Schülern oft wenig gewünscht ist. Gabriele Paqué hat nur einen sehr ehrgeizigen Schüler, alle anderen spielen des Spaßes halber.

Für die Musik zur Tagung sorgte der Chor „German Silver Singers“ des ChorVerbands NRW mit Harald Schollmeier am Klavier.

(rvz)

Dokumentation der Tagung von Torsten Möller sowie PDF-Dateien und PowerPoint-Vorlagen der Vorträge, Übersichten (Programm, Abstracts mit Links, Kurzbiografien):