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Jubiläumsveranstaltung 20 Jahre Kulturrat NRW

Anlässlich seines 20-jährigen Jubiläums lud der Kulturrat NRW am 9. Dezember 2016 ins Filmforum NRW in Köln. An die zweihundert Gäste hörten eine kritische Bilanz des Vorsitzenden Gerhart Baum, eine Videogrußbotschaft von Kulturministerin Christina Kampmann, einen Vortrag zur Generationenfolge im Kulturleben von Prof. Susanne Keuchel und eine Podiumsdiskussion. Zudem sahen sie das Ergebnis eines Videowettbewerbs des Kulturrats.

Gerhart Baum bilanzierte die positiven Auswirkungen der Arbeit des Kulturrats, stellte aber fest, dass die öffentliche Kulturförderung in NRW einen nach wie vor viel zu geringen Anteil am Landesetat habe. Er forderte von der Landesregierung eine Person, die ausschließlich für Kultur in NRW stehe und am Kabinettstisch sitze. Auch die Bundesregierung setze falsche Prioritäten. Es sei ein Unding, dass Berlin so viel mehr pro Kopf für Kultur ausgeben könne als andere Städte. Das müsse anders gewichtet werden. Die klammen Kommunen tragen immerhin 80 % der öffentlichen Ausgaben für Kultur in NRW.

Das verstärkte Engagement sei wichtig, denn ein Gebräu von Problemen sei auf die Menschen zugekommen, Politik und Macht fielen auseinander und die Globalisierung schüre Fremdenängste. „Kultur befähigt die Menschen, als aufrechte Demokraten unsere Werte zu verteidigen.“

Susanne Keuchel ließ in ihrem Impulsreferat die Abfolge von Generationen im Kulturleben der letzten Jahrzehnte Revue passieren: Die Bewegung der 1968er Generation zur „Kultur für alle“ schuf neue Räume und Produktionsstätten für Kunst. Soziokulturelle Zentren und offene Bürgerhäuser entstanden. Eine Generation später setzten private Einrichtungen wie etwa Musical-Häuser, aber auch privatwirtschaftliche Medien öffentliche Kultureinrichtungen unter Druck, gleichfalls stärker am Markt orientiert zu operieren. Die öffentliche Diskussion von OECD-Studien verstärkten diese Tendenz. Wie groß die Akzeptanz von Selbstregulierungsbestrebungen in der Kulturszene mittlerweile ist, konnte man beim Erscheinen der Publikation „Kulturinfarkt“ beobachten, die eine Revision der öffentlichen Kulturangebote fordert.

Gegenwärtig nehmen die Unterschiedlichkeit der Positionierungen von öffentlichen Kultureinrichtungen auf der Suche nach Alleinstellungsmerkmalen und politischer Legitimation sowie gleichzeitig marktwirtschaftliche Arbeitsweisen zu. Soziokulturelle Zentren und Migrantenorganisationen versuchen sich in der Legitimierung ihrer öffentlichen Förderung stärker von privatwirtschaftlichen Einrichtungen abzugrenzen. Dadurch verlieren aber auch viele junge Kulturschaffende das Interesse an ihnen. Kommerzielle Medien und Kunstorte stehen grundsätzlich jedem offen, der Nachfrage generiert.

Das sorgt für starke Konkurrenz gegenüber den etablierten, öffentlich geförderten Einrichtungen. Zumal als neue Produktionsorte die digitalen Kunsträume hinzugetreten sind. Über Youtube und Twitter entstehen neue Kunstforen. Dieser Wettbewerb kann für die Kunstformen gut sein, muss es aber nicht sein, so Susanne Keuchel. Kunst brauche Entwicklungszeit, ebenso mediale Formate. Wäre der über Jahrzehnte reichende Erfolg der „Sendung mit der Maus“ in der Konkurrenz zu den schnell konsumierbaren Formen von heute noch denkbar? Die Gefahr besteht, dass die gesellschaftliche Reflexionsebene von Kunst und Kultur unter kommerziellen Formaten verloren gehen wird.

In einer Podiumsdiskussion versuchte Moderator Peter Grabowski mit geschickt provokanten Fragen, Gräben zwischen den Kulturauffassungen der Diskutanten auszuloten. Dies waren neben Susanne Keuchel der Kölner Künstler Gregor Schwellenbach, die Popelektronikerin Sonia Güttler und der Zukunftslobbyist Wolfgang Gründinger. Sonia Güttler ließ sich nicht in die Ecke der von der Hochkultur belächelten U-Musikerin schieben. DJ-Kultur habe sehr filigrane Geflechte ausgeformt, die in die Kunstbereiche führen. Die Hochkultur könne stolz auf diese Künstlerinnen und Künstler sein. Gregor Schwellenbach wies darauf hin, dass auch Popkulturschaffende durchaus einen Ort haben möchten, wo sie in Ruhe arbeiten und sich entwickeln können. Staatliche Förderung habe ihre Grenzen: „Ich möchte keine staatlichen Popmusiker hören.“

Wolfgang Gründinger ließ sich resolut auf die Identifizierung von Konflikten zwischen den Generationen ein. Er zitierte Peymanns Auslassungen über Tim Renner, der zu jener Zeit immerhin auch schon knapp 50 Jahre alt war. Die Beschimpfung Renners als „Lebenszwerg“ und die damit verbundenen Invektiven könne man leicht einem Generationenkonflikt zuordnen.

Susanne Keuchel differenzierte die Generationenfolge in mehrere parallel verlaufende Prozesse. Die Jugendkulturen folgen immer differenzierter aufeinander. Gemeinsame Erlebnisse verbinden die Menschen, die sozialen Medien aber lassen diese gemeinsamen Schlüsselerlebnisse immer schneller aufeinander folgen. Sonia Güttler stimmte zu. Als unabhängige Elektronikkünstlerin müsse sie mit diesem Kommunikationswahnsinn irgendwie zurechtkommen. Aber zur Jugendkultur zähle sie sich dadurch nicht.

Gregor Schwellenbach sieht Grenzen auch durch ein immer selbstverständlicheres Verschwimmen der Genres fallen. Künstler wie er schaffen permament Hybride zwischen Hochkultur und Popkulturen. Dabei dürfe man sich getrost elitär geben, ohne die junge Generation zu verlieren: Die Jugend erreicht man nicht, indem man offene Kultur verheißt, sondern indem man Kunst elitär anbiete. „Komm zu unserer Kunst, du darfst auch deine Goretex-Jacke anlassen“ – das funktioniere halt nicht. Die Jugend fürchte nicht eine Schwelle vor der Kunst, sie habe nur einfach keine Lust. Wäre er Intendant der Kölner Philharmonie, er würde vor klassischen Konzerten Türsteher am Eingang postieren, die wahllos jeden fünften Interessenten zurückweisen würden. Dann käme auch die Jugend. Wichtig sei es, dass günstige Musikschulen, Bibliotheken und andere Institutionen Freiräume für junge Kulturexperimentierende schaffen. Geschützte Freiräume tun not – darin waren sich alle Diskutanten einig.

Nach der Ausschreibung eines Videowettbewerbs durch den Kulturrat NRW haben fünfzig Nordrhein-Westfalen mit kurzen Filmen festgehalten, was für sie Kultur des Landes ausmacht. Der Juryvorsitzende Matthias Hornschuh stellte im Filmforum NRW die Gewinner des Projekts "Querbeet" vor. Die Themen zeigen ein breites Spektrum von überwiegend breitenkulturellen Ausdrucksformen. Es reicht von der Gärtnerei über Breakdance, Strohballenrennen, Blasmusik und Klangkunst bis zu Oberhausener Kultureinrichtungen.

Den 1. Platz erhielt Lukas Loss aus Düsseldorf zugesprochen, den 2. Platz das Team Daniel Huhn & Benjamin Leers aus Köln. Lukas Loss produzierte eine Art umgekehrter Form der Graffiti in seinem Film "Das Sein des Nichtseins": Künstler bürsten durch Holzschablonen den Schmutz einer Autobahnwand weg und gestalten so eine Wabenstruktur mit Schriftelementen. Die Jury würdigte die Ästhetik, Subtilität und Bewusstseinsschöpfung der Arbeit. Das Kölner Duo legten einen Dokumentarfilm über ein Essener Autokino vor, sie porträtierten, so die Jury, eindrucksvoll einen Kulturort der Beständigkeit.

Den 3.-15. Platz erreichten, ohne dass die Jury ein Binnen-Ranking vornahm: Britta Adams (Trallafitti), Chris Brandl, Anna Brass (Komma-Theater), Silke Büscherhoff, Kang Chen, Andre Eggink, Joshua Fritz, Montserrat Gardo, Torsten Gerlang, Joachim Goldschmidt, Matthias Landthaler, Becken Lundoloki und Karol Orak.

Der Filmemacher Ertan Erdogan hat die technischen Eigenschaften der Einsendungen harmonisiert und die Streifen zu einem vierzigminütigen Film mit Zwischentiteln zusammen geschnitten, der auf der Leinwand des Filmforums kaum Kompromisse an die Sehgewohnheiten erzwang. Matthias Hornschuh hat für die Filmmusik und Audiogestaltung des Films gesorgt. Langer Applaus würdigte das Kaleidoskop von Kulturwertschätzungen, von dem aus der Dachverband der nordrhein-westfälischen Kulturverbände die nächsten zwanzig Jahre Streitens für Kunst und Kultur angehen kann.

rvz

Fotos: Den 1. Preis des Videowettbewerbs"Querbeet" erhielt Lukas Loss aus Düsseldorf, den 2. Preis das Team Daniel Huhn & Benjamin Leers aus Köln aus der Hand des Vorsitzenden der Jury Matthias Hornschuh (links); die 15 Preisträger, ausgewählt aus 50; Podiumsdiskussion mit Susanne Keuchel, Gregor Schwellenbach, Moderator Peter Grabowski, Sonia Güttler und Wolfgang Gründinger am 9. Dezember 2016 im Filmforum NRW. Fotos: LMR NRW.